Pranayama: Warum wir im Yoga den Atem kontrollieren, inkl. Anleitungen

Pranayama beschreibt vereinfacht gesagt yogische Atemübungen, die einen positiven Effekt auf Körper und Geist haben. Dabei macht Pranayama sich zwei besondere Eigenschaften des Atems zunutze: Er ist die einzige vitale Körperfunktion, die wir bewusst steuern können und hat einen direkten Einfluss auf Körper und Geist. Mit dem Atem können wir unsere Körpertemperatur regulieren und uns sogar in Trancezustände versetzen.

Das Beste: Erste Pranayama-Übungen kannst du innerhalb von Minuten lernen. Hier erfährst du, wie. 

Was ist Pranayama?

Pranayama ist eine uralte, aus der indischen Yogatradition stammende Praxis, bei der durch die Regulierung des Atems die Lebensenergie und damit der Geist kontrolliert wird. Reguliert werden dazu:

  • Einatmung (puraka)
  • Ausatmung (rechaka
  • Anhalten des Atems (antar kumbhaka bei voller Lunge, bahir kumbhaka bei leerer Lunge) 

Das Wort Pranayama setzt sich aus mehreren Sanskrit-Silben zusammen: 

  1. Prana bedeutet Lebens- oder Vitalkraft und meint die Energie, die durch unseren Körper strömt und bei allen Yogapraktiken angeregt und ausgeglichen wird. Gleichzeitig kann Prana auch die Gesamtsumme aller Energien meinen, die sich im Universum manifestieren
  2. Yama bedeutet einschränken, kontrollieren oder regulieren.
  3. Ayama ist genau das Gegenteil von Yama, bedeutet also loslassen oder freisetzen

Daraus lässt sich die Idee ableiten, dass wir Lebensenergie freisetzen können, indem wir sie zunächst kontrollieren. 

Pranayama = Lenkung der Vitalkraft über die Kontrolle des Atems

Pranayama wird seit Tausenden von Jahren praktiziert und ist Bestandteil einer Praxis, die zur Erleuchtung führen soll. Es kam wahrscheinlich bereits 700 v. Chr. in religiösen Zeremonien und Ritualen zum Einsatz und wurde später mit Meditationstechniken kombiniert. Auch bei dynamischen Yogastilen, wie wir sie heute im Westen kennen, spielt Pranayama eine zentrale Rolle. 

Welche Bedeutung hat Pranayama im Yoga?

Pranayama gilt nach dem Yoga Sutra von Patanjali als eines der acht Glieder des Yoga. Ein achtgliedriger Pfad, der Menschen letztendlich zur Erleuchtung – samadhi – führen soll. Die Asana-Praxis (körperliche Übungen) ist ein anderes der acht Glieder. In fast allen dynamischen Yogastilen, wie Vinyasa, Ashtanga oder Jivamukti Yoga, verbinden wir unsere Bewegungen (Asanas) mit einem kontrollierten Atem. Einatmen, Arme nach oben – Ausatmen, nach vorne beugen… und so weiter. 

Die Koordination von Atem und Bewegung hat dabei zwei wichtige Funktionen: 

  1. Sowohl durch die Atmung als auch unsere Bewegungen lenken wir beim Yoga Prana im Körper. Und indem wir beide miteinander kombinieren, bringen wir die Effekte zusammen und in Einklang. 
  2. Bei der Konzentration auf das richtige Atmen zur passenden Bewegung bleibt keine Zeit mehr für das sonst so endlose Gedankenkarussell – wir werden direkt konzentrierter und achtsamer, lenken den Fokus auf den gegenwärtigen Moment. 

Als kleines Experiment kannst du den Sonnengruß mal mit umgekehrter Atmung probieren. Also bei Aufwärtsbewegungen ausatmen und bei Abwärtsbewegungen einatmen. Rein energetisch wirst du einen großen Unterschied feststellen. Bewegung und Energiefluss im Körper passen nicht mehr zusammen und der sonst so angenehme Effekt geht wahrscheinlich weitestgehend verloren. Wenn du merkst, dass du den regelmäßigen Atem verloren hast, bist du wahrscheinlich gedanklich abgeschweift.

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Welche Wirkung hat Pranayama?

Dass der Geist unseren Atem beeinflusst, kennen wir aus dem Alltag: Wenn du aufgeregt bist, atmest du schneller. Wenn du erleichtert bist, atmest du einmal lange mit einem Seufzer aus. Und auch beim Schlafen verändert sich der Atemrhythmus. 

So wie sich unser Gemütszustand in unserer Atmung äußert, können wir andersrum durch ein bewusstes Atmen unser Nervensystem regulieren und unsere Stimmung beeinflussen. 

In der Hatha Yoga Pradipika, einem der Grundlagenwerke des Hatha Yoga, heißt es: 

chale vate chalam cittam nischalam nischale bhavet 

Wenn sich der Atem bewegt, bewegt sich der Geist. Wenn der Atem unbewegt ist, ist auch der Geist unbewegt

Insgesamt führt die bewusste Regulierung des eigenen Atems zu Achtsamkeit, Konzentration und mehr Ausgeglichenheit. Atemübungen können bei Stress, Nervosität, Müdigkeit, Zerstreutheit, Abgeschlagenheit und anderen psychischen Problemen helfen. Außerdem weisen einige Studien darauf hin, dass bestimmte Atemübungen einen positiven Effekt auf ausgewählte Parameter der Herz-Kreislauf-Gesundheit und der Lungenfunktion haben können. 

Wie funktioniert Pranayama? 

Beim Pranayama werden Einatmung, Ausatmung und die Pausen dazwischen bewusst gesteuert. Wie genau hängt davon ab, welche Art von Pranayama du übst. 

Die Atemübungen werden in vier Kategorien unterteilt, entsprechend ihrer Effekte:

1. Reinigende Effekte haben Nadi Shodana, auch Nadi Shuddhi genannt
2. Stimulierend wirken Kapalabhati Kriya, Bhastrika, Surya Anuloma Viloma
3. Kühlend sind Sheetali, Sitkari, Chandra Anuloma Viloma
4. Harmonisierend wirken Brahmari und die Resonanz-Atmung

Wir teilen im Folgenden ein paar Atemübungen, die sich gut als Einstieg eignen. Weil die Effekte von fortgeschrittenen Übungen sehr intensiv sein können, solltest du dich nur mit eine*m Lehrer*in an sie herantasten. Es ist aber auch gar nicht notwendig, die Atmung gleich minutenlang anzuhalten, um die Kraft und die positiven Effekte von Pranayama zu erfahren.

Welche Pranayama-Atemübungen eignen sich für Anfänger*innen?

Generell sind die Atemübungen leichter zu erlernen, bei denen der Atem ohne große Anstrengung fließen kann und nicht zu lange angehalten werden muss. Zur Einstimmung auf deine Pranayama-Praxis kannst du ein paar Minuten die Resonanz-Atmung üben. Dadurch kommt dein Geist zur Ruhe und du kannst dich besser auf Pranayama fokussieren: 

Vorbereitung zum Pranayama: die Resonanz-Atmung 

Bei der Resonanz-Atmung, einem samavritti pranayama, atmest du gleich lang aus und wieder ein. Das beruhigt Herz, Lungen und Kreislauf und weckt deinen Körper auf. 

  1. Setz dich bequem und gerade hin – auf dem Boden oder einem Stuhl, wobei die Füße flach auf dem Boden stehen sollten.
  2. Atme für fünf Sekunden sanft durch die Nase ein. Die Zeit kannst du mit dem Sekundenzeiger einer Uhr messen, der Stoppuhr auf deinem Smartphone oder einer dafür geeigneten App. 
  3. Atme für die gleiche Zeit wieder durch die Nase aus, ohne Pause zwischen dem Ein- und Ausatmen.
  4. Achte auf den Luftstrom, der in die Nase hinein und wieder heraus strömt.
  5. Der Atem kann sich in der Bauchgegend oder im mittleren Brustkorb bewegen. Versuche, die Atmung im oberen Brustbereich zu vermeiden.
  6. Versuche für ein paar Minuten, deine Aufmerksamkeit auf das Heben und Senken des Zwerchfells zu richten.

Wenn du diese Übung als Vorbereitung zum Pranayama nutzt, reichen zwei bis fünf Minuten. Aber auch für sich allein kann diese grundlegende Technik Wunder wirken, nimm dir dann eher 20 bis 25 Minuten Zeit. Wenn du willst, kannst du beim Ein- und Ausatmen ein Mantra wiederholen, zum Beispiel so’ham –Beim Einatmen so, beim Ausatmen ham. Das bedeutet so viel wie ich bin DAS oder Ich bin der*die, der*die ich bin. Es erinnert uns, dass wir nicht nur unser Körper und unsere Gedanken sind, sondern ein Teil der Einheit des Universums. 

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Pranayama-Anleitung I: So geht Ujjayi

In fast allen dynamischen Yogastilen werden einfache Pranayama-Übungen von Anfang an integriert. Die bekannteste Atmung ist dabei Ujjayi, die vor allem während der Asana-Praxis genutzt wird. Dabei hört der Atem sich an wie ein Meeresrauschen oder der Atem von Darth Vader und fließt gleichmäßig. 

So funktioniert Ujjayi

  1. Setz dich bequem und gerade hin.
  2. Atme durch die Nase ein und durch den Mund aus. Stell dir beim Ausatmen vor, du würdest du einen Spiegel anhauchen und achte darauf, wie sich deine Stimmritzen verengen. Du hörst ein Hachhhhh.
  3. Wiederhole die Übung, aber atme dieses Mal durch die Nase ein und aus. Behalte die verengten Stimmritzen jetzt sowohl beim Ein- als auch beim Ausatmen bei. Dabei entsteht ein Geräusch in der Kehle, das an Meeresrauschen erinnert. 
  4. Stimme Ein- und Ausatmung aufeinander ab. Beide sollten gleich lang sein, ohne Pause zwischen den Atemzügen. Du kannst dabei im Kopf mitzählen: Einatmen-2-3-4, ausatmen-2-3-4, …
  5. Et voilà, das ist Ujjayi!

Ujjayi kannst du während deiner gesamten dynamischen Asana-Praxis beibehalten. Dort wird die Atmung mit Bandhas kombiniert und dadurch umso intensiver. Die Atmung hilft, bei der Praxis fokussiert zu bleiben und mit den Gedanken nicht zu weit weg zu wandern. 

Pranayama-Anleitung II: So geht Nadi Shodhana / Anuloma Viloma / Wechselatmung

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Auch der Name Nadi Shodhana kommt aus dem Sanskrit: shodana bedeutet Reinigung und nadi heißen die Energiekanäle, die durch unseren gesamten Körper laufen und bei dieser Übung angesprochen werden. Diese Pranayama-Übung ist auch als Anuloma Viloma oder Wechselatmung bekannt. 

Die beiden Energiekanäle, um die es bei dieser Übung geht, heißen Ida und Pingala. Sie schlängeln sich durch den gesamten Körper – von den Nasenlöchern bis zur Basis der Wirbelsäule. 

Pingala symbolisiert die Sonne, Feuer und Aktive – ähnlich der Yang-Energie. Im Gegensatz dazu repräsentiert Ida den Mond, das Kühle und Passive und entspricht der Yin-Energie. Pingala endet im rechten Nasenloch, Ida im linken. Beim Nadi Shodana aktivierst du beide Kanäle und sorgst so für einen ausgeglichenen inneren Energiekreislauf.

Anleitung für Nadi Shodana mit gleichmäßigen Atemtakten:

Die einfache Form dieser Wechselatmung arbeitet mit gleichmäßigen Atemtakten. Also einatmen – pause – ausatmen – pause: 1:1:1:1. Ein Takt kann vier bis 12 Sekunden oder mehr lang sein, je nachdem, womit du dich wohlfühlst. 

  1. Setz dich bequem und gerade hin.
  2. Bringe deine rechte Hand in das Vishnu-Mudra: Lege Zeige- und Mittelfinger in die Handfläche und spreize die restlichen Finger von der Handfläche ab. Bring die Hand zur Nase. Die linke Hand bleibt entspannt im Schoß.
  3. Der Daumen wird zum Verschließen des rechten Nasenlochs benutzt, der kleine und der Ringfinger zum Schließen des linken Nasenlochs. 
  4. Schließe das rechte Nasenloch mit dem Daumen und atme links einen Takt lang ein.
  5. Verschließe beide Nasenlöcher und halte die Luft genau so lange an, wie du eingeatmet hast.
  6. Löse den Daumen und atme rechts einen Takt lang aus.
  7. Verschließe wieder beide Nasenlöcher und halte den Atem einen Takt lang an.
  8. Atme rechts wieder einen Takt lang ein und so weiter. Wiederhole die Übung eine Zeit lang und lass sie dann nach dem Atemleere auf der linken Seite enden. 

Weil du beim Nadi Shodhana die beiden Energiekanäle gleichermaßen ansprichst, erzeugst du innere Balance und kultiviert ein Gefühl des Gleichmuts. Deswegen eignet sich diese Technik besonders gut vor der Meditation, nach der Asana-Praxis oder vor dem Schlafengehen. 

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Pranayama-Anleitung III: So geht Kapalabhati

Kapala ist Sanskrit für Schädel und bhati bedeutet Leuchten, Polieren oder Scheinen. Mit dieser Übung leitest du Prana nach oben zum Kopf und bringst so deinen Schädel sprichwörtlich zum Leuchten. 

Laut der Hatha Yoga Pradipika zählt Kapalabhati eigentlich nicht zu den Pranayama-, sondern zu den Reinigungsübungen (Kriyas). Es ist allerdings eine Übung, die über den Atem durchgeführt wird und außerdem auch sehr häufig in Yogaklassen zum Einsatz kommt. Daher listen wir sie hier mit auf. Kapalabhati soll Lunge, Leber, Milz und Pankreas reinigen, die Atemmuskulatur stärken und für einen klaren, aufgeräumten Geist sorgen. 

Anleitung zum Kapalabhati:

Es kann gut sein, dass du durch Kapalabhati deine Nase frei pustest. Halte deswegen ein Taschentuch bereit. Die Übung wird bei Schwangerschaft, kurz nach Bauchoperationen, Leistenbruch, Glaukom oder unkontraolliertem Bluthochdruck sowie direkt nach dem Essen und während der Menstruation nicht empfohlen. 

  1. Atme zunächst in einem aufrechten Sitz ein paar Mal tief ein und wieder aus. 
  2. Lege eine Hand auf den oberen Bauch. Atme dann bequem ein, werde also nicht ganz voll mit Luft.
  3. Stoß die Luft kraftvoll über die Nase aus und zieh den Bauch nach innen. Stell dir vor, es säße eine Fliege unter deiner Nase, die du weg schnauben willst. Die Ausatmung geschieht also ganz aktiv. .
  4. Dein Körper wird daraufhin ganz automatisch einatmen. Lass einfach den Bauch zurück in die Ausgangsposition gehen. 
  5. Stoße so den Atem 10 bis 50 Mal kraftvoll aus. Das ist eine Runde. Das Tempo kannst du selbst bestimmen. Wichtig ist, dass die Ausamtung kräftig ist, die Einatmung passiv und dass du nicht durch die Übung hetzt. Mit der Zeit kannst du die Zahl langsam auf bis zu 100 Atemstöße erhöhen. 
  6. Achte währenddessen darauf, dass wirklich nur deine Bauchmuskeln arbeiten. Alles andere (besonders dein Gesicht) sollte ganz entspannt bleiben.
  7. Nach jeder Runde kannst du drei Resonanz-Atemzüge einlegen und in dich hineinspüren, bevor es mit der nächsten Runde weitergeht. 

Die Länge und Anzahl der Runden kannst du Stück für Stück erhöhen. Übertreib es aber nicht, dann kann dir schwindelig werden und die positiven Pranayama-Effekte kehren sich ins Negative. 

Manche Menschen haben ein Atemmuster, das es erschwert, den Bauch aktiv nach innen zu ziehen. Oft wölbt sich dann der Bauch bei der Ausatmung nach außen und der Brustkorb zieht sich zusammen. In diesem Fall empfehlen wir das Üben mit einer Lehrperson, die sich mit Pranayama und Atemarbeit auskennt. 

Mach Pranayama zu deiner täglichen Praxis! 

Atemübungen können uns in stressigen Momenten unterstützen und bei einem zu vollen Kopf ein wenig aufräumen. Genau wie Yoga, Meditation und andere spirituelle Praktiken sind sie aber am effektivsten, wenn wir sie regelmäßig in unser Leben integrieren. Wenn du schon eine regelmäßige Asana-Praxis hast, kannst du dir davor oder danach Zeit für Pranayama nehmen. Auch vor der Meditation, nach dem Aufstehen oder vor dem Schlafengehen sind gute Zeitfenster zum Pranayama üben. 

Happy breathing,
deine Helena

Titelbild © Lena Fingerle

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