Neulich saß ich mit zwei Freundinnen am See. Wir haben uns vor ein paar Jahren während unserer Kundalini-Yogaausbildung kennengelernt und eine wirklich gute und intensive Freundschaft entwickelt. Diese war vor allem davon geprägt, dass wir uns über die besten Yogamatten austauschten, gemeinsam ayurvedisch kochten, uns gegenseitig über Erlebnisse in unseren 40-Tage Meditationen austauschten und yogaphilosophische Fragen bis ins kleinste Detail durchkauten.
Gemeinsam in Bars abhängen wurde durch goldene Milch im Café ersetzt.
Tanzen gingen wir natürlich nur noch beim conscious clubbing mit Kakao-Zeremonie oder zum Ecstatic Dance. Dass wir mit rasender Geschwindigkeit dabei waren, uns total dogmatisch zu verhalten und Regeln zu befolgen, die so eigentlich gar nicht in unser Leben und zu uns passten, war uns damals überhaupt nicht klar.
Als Dogma wird eine als unumstößlich wahr geltende Aussage in der jeweiligen Lehre (häufig auch Religionslehre) definiert.
Personen, die sich mit der jeweiligen Lehre befassen, bewerten diesen Ausdruck häufig als neutral. Besonders das Adjektiv dogmatisch wird von Personen, die mit der jeweiligen Lehre nicht in Kontakt sind, jedoch verwendet, um auszudrücken, dass die entsprechenden Ansätze oder Regeln nicht fundiert sind.
Es gibt sowohl offensichtliche als auch verstecke Dogmen.
Gerade im Kundalini Yoga gibt es viele sehr offensichtliche Regeln, wie zum Beispiel den Dresscode weiß. Auch tragen sehr viele Kundalini-Yogis einen Turban. Der Sinn dahinter ist, die eigene Energie zu bündeln, da der Turban verschiedene Akkupressurpunkte stimulieren soll.
Häufig wurde in meiner Ausbildung auch betont, dass es vor allem als Yogalehrer*in wichtig sei, eine regelmäßige Morgenpraxis (Sadhana) zu haben. Auch bei anderen Yogastilen habe ich häufig den Eindruck, dass es einige unausgesprochene Regeln gibt, die man besser befolgen sollte, wenn man dazugehören will. Jede*r, der*die sich in einer solchen Gruppe befindet oder schon mal zu einer gehört hat, weiß wahrscheinlich, was ich meine.
Befreiung von dogmatischen Regeln
Da sich unsere Lebenswege in verschieden Städte bewegt haben, habe ich meine Freundinnen schon länger nicht mehr treffen können. Als wir uns nun endlich wiedersehen, unterhalten n wir uns hauptsächlich darüber, von welchen dogmatischen Regeln im Yoga wir uns inzwischen befreit haben und wie wir Yoga nun so leben, dass es zu unserem Leben passt.
Dann fiel der Satz: „Ich kann jetzt auch ohne schlechtes Gewissen mal wieder einen Wein trinken.“ Ja, auch den Konsum von Alkohol hatten wir uns früher ziemlich streng entsagt. Direkt erinnerte ich mich an einen schönen Abend mit den beiden in einem gemütlichen Restaurant. Eine Frau, die mit uns am Tisch saß, bot uns ein Glas Wein an. Eine meiner Freundinnen lehnte dankend ab. Ihre Begründung: Wir seien Yogalehrerinnen und wenn wir Alkohol trinken würden, dann könnten wir tagelang kein richtiges Sadhana (Kundalini-Yoga-Morgenpraxis) machen oder meditieren.
Lasst mich wieder aus der Schublade frei!
Ich erinnere mich noch genau, wie sehr ich mich damals geärgert habe. So wollte ich mich definitiv nicht vor anderen Leuten darstellen oder in eine bestimmtes Schublade eingeordnet werden. Doch ich war so überrascht, dass ich schlichtweg nicht wusste, was ich dem entgegnen könnte.
Waren wir wirklich schon so dogmatisch und in unserer eigenen Realität verfangen?
Besagte Freundin ist der Schublade schneller als gedacht entkommen. Sie macht heute kaum mehr Yoga auf der Matte, trägt definitiv keinen Turban und geht wieder regelmäßig exzessiv feiern. Sie hat ihr Glück doch woanders gefunden. Party ist eben auch ein Teil von ihr genauso wie ihre Spiritualität. Von beidem genau in dem Maße, in dem es sie glücklich macht. Diese Extreme habe ich schon häufig beobachtet und nehme mich selbst nicht heraus.
Dogmatische Regeln gaben mir zunächst Halt und Zugehörigkeitsgefühl.
Ich hatte eine Phase, in der mir all die sehr strengen und manchmal auch sinnlosen Vorschriften und Regeln Halt gegeben haben und ich mich dadurch zu einer Gruppe zugehörig gefühlt habe. Ich bin in ihr aufgegangen, habe mich übermäßig mit ihr identifiziert und wollte alles ausprobieren. Diese Phase war allerdings sehr schnell wieder vorbei und ich habe nur die Dinge beibehalten, die für mich wirklich funktionieren und Sinn ergeben.
Schon während der Yogaausbildung führte das zu einem Gefühl der Abgrenzung von den anderen. Statt Freude und Gefallen in Dogmen und Regeln zu finden, habe ich schnell alles hinterfragt und mich dadurch oft anders oder provokant gefühlt. Ich gehörte irgendwie nicht ganz dazu.
Brauchen wir Dogmen, um uns selbst zu finden?
Je mehr ich mich mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, desto häufiger stellte ich mir die Frage, ob Regeln uns dabei helfen, herauszufinden wer wir wirklich sind. Entdecken wir uns selbst, während wir herausfinden, welche Regeln wir in unserem Leben haben wollen?
Bei mir persönlich hat es sich so gestaltet, dass ich viele Regeln zuerst sehr intensiv gelebt und ausprobiert habe. Und es hat Spaß gemacht und war eine super interessante Erfahrung. Aber dann habe ich eben doch festgestellt, dass ich mich oft auch verbiegen musste. Und das fühlte sich nicht gut an.
Nehmen wir mal den Turban als Beispiel: Nachdem mir häufiger gesagt wurde, ich solle auf jeden Fall einen tragen, weil ich sehr sensibel sei und mir das bei der Mediation helfe, meine Energie zu bündeln, habe ich eine Zeit lang sehr gerne Turban getragen. Verschiedene Farben und Bindetechniken verliehen dem ganzen meine persönliche Note – aber irgendwann merkte ich trotzdem ganz klar, dass es mir eigentlich gar nicht hilft und ich mich total verkleidet fühle.
Letztlich geht es für mich im Yoga nämlich genau darum: zu 100% ich selbst zu sein.
Vielleicht sind dogmatische Regeln und das Befolgen dieser deshalb eine Art Werkzeug oder Lehrer, um sich selbst zu erkennen. Ich persönlich finde es dabei nur wichtig, dass man sich nicht langfristig in einem Regelwerk verliert und an etwas festklammert, was einem nicht wirklich dient.
Um dich davor zu schützen, dich langfristig in Dogmen zu verlieren oder vielleicht von vornherein zu erkennen, was dir gut tut und was nicht, kannst du dich mit folgenden Fragen beschäftigen:
- Wieso halte ich mich an den Vorschlag/ Regel/ Dogma?
- Spüre ich durch Dogma wirklich eine Veränderung?
- Dient das Dogma mir und verbessert sich mein Leben zum positiven?
- Möchte ich das Dogma einfach mal ausprobieren?
- Habe ich das Gefühl, dass ich mich unbedingt an das Dogma halten muss um ein richtiger Yogi zu sein?
- Halte ich mich an das Dogma, weil alle anderen es auch so machen oder es von mir erwarten?
- Habe ich das Gefühl, durch das Dogma zu einer Gruppe zugehörig zu sein, zu der ich vielleicht sonst nicht gehören kann?
Im Nachhinein stellt man häufig fest, dass man all diese Regeln nicht braucht.
Und dass man eigentlich schon ganz gut so ist, wie man eben ist. Ich bin super dankbar für alle Erfahrungen und alle yogischen Regeln, die ich ausprobiert und wieder abgelegt habe.
Auch wenn sie mich zeitweise ganz schön weit von mir weg gebracht haben, haben sie mich letztlich dazu geführt immer mehr zu mir zu finden. Ich hoffe, meine Anregungen helfen auch dir, dein authentisches Selbst zu leben – ganz ohne sinnlose dogmatische Regeln.
Alles Liebe
Deine Anna-Lena
Titelbild via Unsplash
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Liebe Anna- Lena !
Ich bin selbst schon viele Jahre Kundalini- Yogalehrerin und du sprichst mir aus der Seele ! Auch ich bin gerade dabei, mich von den Dogmen zu befreien und zu mir selbst zurück zu finden,und da sind deine klaren Worte eine gute Unterstützung. Alles hat eben seine Zeit ! Sehr liebe Grüße, Liv