Ich bin Yogalehrerin und habe keine Lust auf Bewegung

“Ich übe momentan jeden Tag online von zuhause Yoga. Durch den Lockdown habe ich immerhin eine Routine gefunden, die zu mir passt! Ich bin so fit!” – Solche Sätze hörte ich zu Beginn der Corona-Krise nicht selten von Bekannten. 

Ich selbst war gar nicht begeistert davon, nicht ins Studio gehen zu können.

Und das Unterrichten online war auch eine neue Herausforderung: Ich musste mich daran gewöhnen, dabei gleichzeitig zu demonstrieren und zu sprechen – was anstrengender ist, als es vielleicht aussieht, aber auch nicht wirklich eine eigene Praxis darstellt. Danach hatte ich oft keine Lust mehr, für mich selbst zuhause zu üben. Ich wurde schlapper, gemächlicher und landete in einer Art Abwärtsspirale: Je weniger ich mich bewegte, desto weniger Lust hatte ich auf Bewegung, desto schlechter wurde meine Laune, desto weniger wollte ich mich bewegen.

So veränderte sich mein Körper in diesen Monaten: Yogapraxis wurde anstrengender. Der Rücken tat plötzlich wieder öfter weh. Hinzu kam der gesteigerte Frust über eine Verletzung am Sitzbein, die ich schon seit über einem Jahr mit mir herumtrage. Müsste die nicht wenigstens langsam besser werden?

Meine Laune sank noch weiter in den Keller und ich schämte mich dafür, dass ich keine Energie hatte, viel Sport zu treiben oder Asana zu üben. Und damit meine ich jetzt wirklich den körperlichen Teil der Praxis, nicht den spirituellen Aspekt. Jeden Tag zu meditieren oder mich anderweitig mit Spiritualität zu beschäftigen, bedeutet überhaupt keine Überwindung für mich. Aber wie gerne würde ich zu diesen Leuten gehören, die sagen: “Boah, ich muss jetzt unbedingt noch Asana üben / joggen gehen!”  

Sport zu treiben fiel mir noch nie leicht und das Runner’s High ist immer noch ein Mysterium für mich.

Als ich Jivamukti Yoga für mich entdeckte, hatte ich das Gefühl, endlich eine körperliche Bewegungspraxis gefunden zu haben, die zu mir passte: Nicht nur körperlich, sondern spirituell, aber eben auch sehr fordernd, sodass ich stark und fit bleibe. Ich hatte durchaus Phasen, in denen ich an sechs Tagen die Woche im Yogastudio eine volle 90-Minuten-Praxis hinlegte, und zwar gerne. Aber diese Phase schien vorbei.

Disclaimer: Manche Artikelserien, u.a. auch dieses Monatsmantra von Ulrikeliegen hinter einer sogenannten Paywall. Wieso das so ist, erfährst du hier.

Ich versuchte, mir zu sagen, dass Asanapraxis genau das ist, was der Geist jetzt braucht, um über derartige mentale Blockaden hinwegzukommen, um Gedanken von Unlust und Faulheit und “Ich kann das alles sowieso nicht” loszulassen. Aber mein Körper wurde mit jedem Mal Üben immer rostiger und ich frustrierter: Was willst du mir denn sagen? Irgendwie schienen wir gerade nicht die gleiche Sprache zu sprechen. Ich hatte ständig Schmerzen und Zipperlein, jede Bewegung fühlte sich an wie die eines Roboters. Es herrschte Dissonanz, ein Funkloch, schlechter Empfang. 

Rational gesehen ist mir vollkommen klar, dass mein Körper total ok ist und ich damit absolut privilegiert bin.

Ich kann mich nicht wie ein Klappmesser zusammenfalten: So what? Verrückt eigentlich, für wie selbstverständlich wir das Funktionieren unseres Körpers halten und wie wenig wir darüber nachdenken, wie viel ständig richtig laufen muss, damit er gesund bleibt. 

Man mag sagen, dass das “trotzdem-auf-der-Matte-Bleiben” ein ganz wichtiges Element der Yogapraxis ist, auch wenn es schwierig wird. Aber ich werfe die Yogaphilosophie in diesem Moment mal kurz über Bord und sage: Das bringt alles nichts, wenn man das Gefühl hat, dass mit dem eigenen Körper Funkstille herrscht. 

Wenn die Verbindung zum Körper weg ist und sie scheinbar durch die gewohnte Praxis nicht wieder hergestellt werden kann, bringt die größte Disziplin nichts. Die Blockade in meinem Kopf in Sachen Bewegungsfrust löste sich, als ich mir eingestand: 

Meine gewohnte Asanapraxis ist gerade nicht das Richtige für meinen Körper.

Ich beschloss, die Intensität und den Druck herauszunehmen, mal alles auf Null zu setzen, herum zu experimentieren und meinem Körper wirklich zuzuhören. Ich abonnierte Good Move TV, kaufte mir TRX-Bänder und stellte mir einfach die Aufgabe, eine bewegungsmäßige Sache am Tag zu unternehmen, sei es Tanzen, Sport oder Jivamukti Yoga. Yin Yoga und die 8 km Radtour nach Charlottenburg zu meinem Freund zählte ich gnädigerweise auch dazu. 

Ich tauschte meine bekannte Yoga-Routine gegen ein Potpourri an Aktivitäten ein.

Mental war das nicht besonders einfach, denn ich mag Routine. Den eigenen Körper morgens zu fragen, was er eigentlich machen möchte, war ungewohnt. Vorher gab es lange Zeit nur Asana oder gar nichts. Überraschenderweise antwortet mein Körper mir fast immer mit “Bewegen!” – in der einen oder anderen Form. 

Ich merkte, dass ich weniger Erwartungsdruck an mich selbst hatte, sobald ich ein neues Workout oder eine andere Art von Praxis übte, als ich es professionell tue. Und siehe da: Auch die Asanapraxis machte mir plötzlich wieder mehr Spaß. Ich konnte meinen Körper hören und mit weniger Performance-Druck an die Sache herangehen.

Es hat sehr lang gedauert, bis ich mir zugetraut habe, Yogalehrerin zu sein.

Wahrscheinlich genau aus dem Grund, dass ich keine Asana Queen und keine begnadete Sportlerin bin. Gottseidank gehört mehr zu den Qualitäten einer Yogalehrerin als Perfektion beim Turnen. Ich sage oft, dass es ein Wunder ist, dass ich überhaupt Yoga (etwas Körperliches) unterrichte, weil ich mich eigentlich in der intellektuellen Arbeit viel sicherer und – ja, auch überlegener fühle.

Aber vielleicht ist es genau deshalb das Richtige für mich: Weil es im Yoga zwar nicht um Leistungsdruck, sondern um Akzeptanz geht, aber Asana trotzdem nicht mein bequemster Zustand ist. Weil Yoga zwar viel mehr beinhaltet als körperliche Praxis, letztere aber in unseren Breiten den Großteil ausmacht. Weil ich meine Komfort-Zone in ganz kleinen Schritten vergrößere, wenn ich Körperarbeit mache. Weil ich diejenigen wirklich nur zu gut verstehe, die nicht jeden Morgen fröhlich auf die Matte oder in die Laufschuhe hüpfen. 

Und vor allem: Weil ich jedes Mal, wenn ich unterrichte, einfach komplett überzeugt von der Praxis bin und mich von Herzen freue, dass ich die Möglichkeit dazu habe, sie weiterzugeben.

Meine Tipps, um den eigenen Körper wieder besser zu verstehen und zu spüren:

  • Setze dich in einen Meditationssitz oder lege dich auf den Rücken und gehe mental deinen kompletten Körper von den Zehenspitzen bis zur Kopfkrone durch. Versuche, die einzelnen Körperregionen zu spüren. Was fühlt sich schwer, leicht, eng, entspannt, hart, gut, ungut an? Wo brauchst du Wärme, Energie, Flexibilität? Guck einfach, was du so erkennen kannst und nimm es an, ohne es zu bewerten oder etwas damit machen zu müssen.
  • Probiere verschiedene Yoga-Arten, Workouts und Praktiken aus und spüre danach, wie du dich jetzt fühlst. Blöd? Toll? Neutral? Ausgepowert, aber gut? Hibbelig? Ruhig? Auch hier: Einfach wahrnehmen.
  • Übe Pranayama – der Atem ist eine wunderbares Tool, um aus dem Kopf in den Körper zu kommen.
  • Entkopple deine Bewegungsroutine von Zielen oder der Idee, dass dein Körper dadurch irgendwie “besser” aussehen soll. Das sagt sich leicht. Aber wenn du dich aus Spaß oder aus dem Wissen heraus bewegst, dass es einfach gesund ist, treten Leistungsdruck und Wettbewerb in den Hintergrund. Hauptsache: bewegen!
  • Übe mehr Restorative oder Yin Yoga, um deinem Körper ganz bewusst Ruhe und Entspannung zu gönnen.
  • Wenn du keine Lust auf Bewegung hast, setze dich damit auseinander. Warum? Welche Ausreden hast du? Was brauchst du, damit dir Bewegung Spaß macht? Notier es dir alles und nimm dir, was du brauchst.
  • Mach drei deiner Lieblingslieder an und tanze wild dazu durch die Wohnung. Gute Laune und ein nahes, schönes Körpergefühl garantiert!
  • Wenn du Sport machst oder Asana übst: Spüre. Versuche weniger, über technische Details nachzudenken, sondern spüre. Deinen Atem, deine Muskeln, wie sie zittern oder sich entspannen, dein Herzklopfen
  • Währenddessen: Mache nichts aus Gewohnheit, sondern schau jedes Mal wieder, was dein Körper braucht. Vielleicht musstest du gestern einen Block benutzen, heute aber nicht? Der Körper ist nie gleich!
  • Wenn du Schwierigkeiten hast, aus dem Kopf heraus in den Körper zu kommen: Tanze mal wieder und beweg dich rein intuitiv, statt festgelegte Yoga-Sequenzen zu üben.
  • Überlege: Gibt es etwas wichtiges, das dein Körper dir sagen möchte? Hast du zu viel Stress, einen Mangel (bspw. Eisen, B12…) oder zu wenig Schlaf? Bist du mit etwas in deinem Leben total unglücklich? Probiere, dir mehr Zeit für Erholung einzuräumen und geh im Zweifel zu deinem*r Arzt*Ärztin.

Dass der Lockdown mich aus der Routine gerissen hat, hat mich meinem Körper über Umwege wieder näher gebracht.

So richtig smooth läuft es mit uns beiden aktuell immer noch nicht. Aber ich verstehe viel besser als früher, dass mein Körper nicht selbstverständlich ist. Und dass es nichts bringt, aus Schönheitsidealen oder Leistungsdenken heraus Bewegung zu betreiben. Je egaler mir ist, was ich durch meine Bewegung erreiche oder wie mein Bauch aussieht, desto mehr Spaß macht sie mir und desto wohler fühle ich mich in meinem Körper.

So abgedroschen es klingt: Das Wichtigste bei jeder Art von Sport oder Asanapraxis ist es, auf den eigenen Körper zu hören. Und wenn der in Form von Schmerzen ganz laut schreit, dann ist es höchste Eisenbahn, seine eigentliche Sprache zu lernen. Das ist eine Herausforderung und gilt für Bewegungsmuffel genauso wie für Sportskanonen.

Dein Monatsmantra: Ich vertraue meinem Körper und gebe ihm Raum, mir zu sagen, was er braucht.

Welche Erfahrungen machst du mit deiner körperlichen Praxis in Sachen „Null Bock“? Hattest du schon einmal solche Phasen? Und wie kommt man da wieder raus? Ich freue mich auf deine Erfahrungen in den Comments!

Alles Liebe!
Uli

Titelbild © Larissa Honsek für FREA Retreats

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2 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Ulrike,
    weil ich ähnlich wie Sie/du fühle, bin ich auf dein Frust-Statement vom Oktober 2020 gelandet… Selbst unterrichte ich seit 23 J. Yoga, mit den Schwerpunkten: Pranayama, Yoga u. Psychosomatik u.alles Was unsere Psyche nähren könnte…Nicht erst seit C-19, sondern immerwieder, taucht eine yogainduzierte Müdigkeit auf…Zum Teil dem Alter geschuldet, weil einige Asanas nicht mehr passen, zum anderen, ist eine Sättigung aufgetreten… Online-Yoga zu geben, war nie in meinem Fokus usw.
    Manchmal, u. ich kann verstehen, dass diese Annahme kein Mensch verstehen muss/kann, bettelt mich die Annahme, dass ich „YOGA – aus Dankbarkeit für jenen Menschen gebe, der mich einst vor Jahren zu dieser Ausbildung bewegt, bzw. mich darin finanziell unterstützte…Nach dem Motto, „Papa sieht dich gerne Yoga praktizieren, also MUSST du ins TUN kommen.“ Irre oder!!! Aber Irre hin o. her, ich komme schlecht aus dieser Vermeidung heraus, und stehe tatsächlich kurz vor einer Kapitulation. Begleite meine Yoga-TN nun fast 10 J. und vieles durfte wachsen…Der Spirit genießt eine immense Bedeutung, auf diesen ich nicht verzichten will, aber diese zähe, schleppende Y-Motivation, nimmt gerade allen Mut zum weiter machen…
    Vielleicht magst du eine Antwort senden, vielleicht auch nicht!!! Jedenfalls weiß ich, dass es mehrere yogamüde Menschen gibt.
    Namaste
    Anne-Marie

  2. Das ist so ein schöner Artikel. Den Körper nicht in einen Yogapraxis zu zwingen ist wichtig. Gewohnheiten sind super (Ich liebe Routine!). Aber manchmal ist die Tasse Kaffee in der Küche mit Handy in der Hand doch mehr „das Richtige“, als sich auf die Matte zu zwingen. Und JA. Fahrradfahren, Yin Yoga oder Tanzen zählt auf jeden Fall als tägliche Bewegungseinheit. Da bin ich voll bei dir. :)

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