Traumasensibles Yoga, auch Traumasensitives Yoga genannt, ist eine sehr achtsame Art zu praktizieren, bei denen die Übungen speziell auf den*die Betroffene*n abgestimmt sind. In der Regel stört psychisches, emotionales oder körperliches Trauma die Verbindung zum Selbst; Traumasensitives Yoga kann unterstützend wirken, diese Verbindung wiederherzustellen.
Lies hier, wie genau die Praxis aussieht und wo du weitere Informationen findest. Weiter unten beantwortet Leander Graf, Yogalehrer für Traumasensibles Yoga, alle unsere Fragen.
Wie genau wird Traumasensibles Yoga praktiziert? Was ist besonders daran?
Hat ein Mensch Trauma erfahren, sei es körperlich, mental oder emotional, setzt sich dieses Trauma höchstwahrscheinlich auf die eine oder andere Art und Weise im Körper fest. Die Yogapraxis kann mithelfen, mit dem Trauma gut umzugehen und wieder Zugang zu sich zu finden, allerdings ist eine besondere Form des Praktizierens wichtig, sowie die spezielle Expertise einer Person, die das, was womöglich freigesetzt wird, auch halten kann.
Traumasensibles Yoga befreit den*die Praktizierende von dem Druck, etwas zu müssen. Die Lehrperson macht Vorschläge, und die Übenden entscheiden, wo es hingehen soll, ganz ohne Erwartungshaltung; Lehrende geben eine Einladung, keine Anweisung. Anders als in einer klassischen Yogastunde muss man nicht das Gefühl haben, auch mal aushalten zu müssen oder die Grenzen auszutesten; man darf in jedem Moment entscheiden, was gut für einen ist und was nicht.
Denn: Traumasensitives Yoga heißt, eine Wahl zu haben.
Außerdem wird betont langsam, aber dennoch bestimmt geübt. Lange Redepausen vonseiten des*der Lehrer*in wird vermieden, um den Übenden ein Gefühl des Geleitet-werdens zu vermitteln. Die langsame Ausführung ist zunächst etwas irritierend, doch man hat so die Möglichkeit, achtsam auf den Körper zu hören und in ihn hinein zu spüren.
Das sehr achtsame Üben öffnet einem die Augen dafür, wie viel der Körper tagtäglich unterbewusst mit sich herumträgt. Zwischen den Haltungen findet eine direkte Reflektion der aufkommenden Körperreaktionen statt, sowohl um Asanas zu modifizieren, als auch um den Übenden die Angst zu nehmen.
Interview mit Leander Graf, Yogalehrer für Traumasensitives Yoga
Leander, was kann ich mir unter Traumasensitivem Yoga (TSY) vorstellen?
Traumasensitives Yoga hat einen körpertherapeutischen Schwerpunkt und richtet sich an Menschen mit traumatisierenden Erfahrungen und ihren oft sehr individuellen physischen und psychischen Reaktionen. Im Traumasensitiven Yoga, kurz TSY, liegt der Fokus auf dem vegetativen Nervensystem – insbesondere dem Sympathikus und Parasympathikus.
Es ist erstaunlich, über was für ein Gedächtnis unser Körper verfügt und wie viel sich unser Körper merkt. In Gefahrensituationen zum Beispiel reagiert der Sympathikus und bringt unseren Körper in höchste Alarmbereitschaft. Später greift dann der Körper auf diese Reaktionen zurück, er speichert sie. Bei traumatisierten Menschen kann diese Funktion durch das Erlebte über- oder auch unterreguliert sein. Sie spüren dann in bestimmten Haltungen sehr viel oder überhaupt nichts. Weshalb es auch im TSY besonders sympathikus- als auch parasymapthikusaktivierende Asanas und Pranayama braucht.
Was macht Traumasensitives Yoga so besonders?
Um Veränderungen wahrzunehmen, werden die Yoga-Sequenzen im TSY langsam ausgeführt, um die Reaktionen des Körpers genau zu beobachten und ggf. auf sie reagieren zu können. Nach der Stunde hat der*die Schüler*in ein intensiveres Körperempfinden, weshalb sich Körperregionen anders anfühlen können als vor der Stunde. Außerdem fordert TSY den achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper. Die Schüler*innen lernen mit der Zeit, genau zu schauen, was sie brauchen und was auf keinen Fall geht.
Im Bezug auf Traumata ist es wichtig, eine feste Reihenfolge vorzugeben, an die sich der*die Schüler*in halten kann. Wir versuchen, gemeinsam Haltungen für sie finden, die ihnen guttun und ein Gefühl von Sicherheit geben. Was TSY so besonders macht, ist, dass es zwar einen Rahmen gibt, der*die Übende sich darin aber sehr frei und individuell bewegen kann.
Ich als Lehrer im TSY gebe einen festen zeitlichen Rrahmen vor, in dem wir zusammen Haltungen ausführen und beenden. Aber die Schüler*innen haben stets die Möglichkeit, aus der Haltung herauszugehen. Dieses Sicherheitsgefühl ist immens wichtig in der Arbeit mit Traumapatienten*innen.
Wie genau läuft eine TSY-Stunde ab und wie kann ich sie ausprobieren?
Es gibt eine Liste von Anbieter*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in der du nachschauen kannst, ob es ein*e TSY-Lehrer*in in deiner Nähe gibt. TSY wird sowohl einzeln, als auch in der Gruppe angeboten.
Eine Einzelstunde bietet eine gute Möglichkeit, für sich selbst herauszufinden, ob TSY eine passende Therapieform ist. Dort gibt es meist ein kurzes Vorgespräch, sodass ich als Lehrer eine Vorstellung davon bekomme, mit welchen Symptomen der*die Schüler*in zu kämpfen hat.
Wie sieht eine typische Einheit im TSY trotz aller Individualität aus?
Trotz der individuell erstellten Sequenzen für jede*n Schüler*in gibt es Grundhaltungen, in denen wir immer wieder innehalten und nachspüren können. Die Asanas werde meist im Stehen, aber am häufigsten im Sitzen ausgeführt, um den Praktizierenden die Möglichkeit zu geben, die Übung schnellstmöglich zu verlassen. Eine wichtige Grundhaltung ist die Berghaltung – Tadasana – im Sitzen. In diese Asana können sich die Übenden immer wieder zurückziehen, nachspüren und die Reaktionen von äußerlichen Faktoren auf ihr Innerstes achtsam wahrnehmen.
Wir üben keine Haltungen im Liegen, denn so könnte der*die Schüler*in sich vielleicht ausgeliefert fühlen. Diese Reaktion wollen wir natürlich vermeiden.
Das Modifizieren ist sehr wichtig im TSY, weil es den traumatisierten Schüler*innen eine Wahl gibt, sich auf die Situation wirklich einzulassen – eine Wahl, die sie während des traumatisierenden Erlebnisses nicht hatten.
Warum braucht es eine therapeutische Form des Yoga? Kann ich nicht auch eine herkömmliche Yogastunde besuchen?
Nein, so einfach ist es nicht. Auch wenn wir uns im Yoga viel mit unserem mentalen state of mind auseinandersetzen, fehlen in der klassischen Yogastunde die therapeutischen Ansätze, die es nun mal braucht, um mit traumatisierten Menschen umzugehen.
Yoga ist niemals Ersatz für eine Therapie und Yogalehrer*innen sind keine ausgebildeten Psychotherapeuten*innen. Der*die Lehrer*in kann ja nicht in die Schüler*innen hineinschauen und weiß nicht, was die Asanas bei den Einzelnen auslösen können. Neben den Asanas können auch die Art und Weise, wie die Stunde angeleitet wird, ein Trigger sein: Stimme, Bewegung oder Hands-On des*der Lehrenden können zu viel sein.
Trotzdem kann eine normale Yogapraxis sehr wohl als zusätzliches Hilfsmittel eingesetzt werden. Aber eine Therapie ist für Trauma-Patient*innen unumgänglich.
Wie bist du zum Traumasensiblen Yoga gekommen?
Ich habe selbst eine traumatische Erfahrung erleben müssen, die sich körperlich und mental später zu erkennen zeigte. Ich war in psychotherapeutischer Behandlung und habe gleichzeitig meine Yoga-Ausbildung angefangen.
Ich dachte zunächst, dass mir Bewegung und auch die Ausbildung dabei helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Doch merkte ich schnell, dass sich mein Trauma besonders bei der Yogapraxis bemerkbar machte. Bestimmte Asanas lösten Flashbacks und schwere Gefühle bei mir aus, weshalb ich sie nicht mehr ausführen konnte. Ich habe dann schließlich meine Therapie wieder aufgegriffen und eine zusätzliche Körpertherapie gemacht, durch die ich auch lernte, meine ganz eigenen Asanas zu erfinden.
Dann habe ich von Dagmar Härle, der Pionierin von TSY-Yoga, gehört und bin für die Ausbildung bei ihr in die Schweiz gegangen. Jetzt bin TSY-Lehrer und mache zusätzlich noch eine Heilpraktiker-Ausbildung.
>> Du interessierst dich für eine Stunde bei Leander Graf? Hier findest du alle aktuellen Informationen zu seinem Unterricht.
Weitere Informationen zu TSY und Trauma-Therapie
- Institut für Traumatherapie
- Akademie für integrative Traumatherapie
Titelbild © L. B. via Unsplash, Fotos im Artikel von Nivata Yoga
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Danke, was für ein mega spannendes Thema!