Füße hochlegen: Selbstliebe oder Faulheit?

Vor etwa einem halben Jahr habe ich mit Ashtanga Mysore Yoga angefangen.

Ashtanga wird traditionell sechsmal pro Woche vor Sonnenaufgang geübt. Von Sonntag bis Freitag. Jeden Morgen vor der Arbeit in der Shala aufkreuzen, jeden Abend vor zehn Uhr ins Bett gehen, das hat mir einiges abverlangt.

Natürlich bin ich schnell kreativ geworden und hatte ein, zwei oder auch dreimal wöchentlich gute Gründe parat, warum ich leider nicht üben kommen kann. Ich hatte das Gefühl, meinem Körper zu viel zuzumuten, wollte abends Zeit mit meinen Freunden verbringen oder brauchte wirklich einmal einen Morgen nur für mich und meine Gedanken. Alles gute Gründe, fand ich.

Dann kam ich eines Morgens zum Yoga und hatte eine unglaublich harte Zeit.

Ich saß gerade vor Frust weinend in Paschimottanasana und zog verzweifelt an meinen Zehen, als mein Lehrer zu mir sagte, die Unregelmäßigkeit meiner Praxis mache das Üben schwer. Wenn ich wieder regelmäßiger käme, käme damit auch die Leichtigkeit wieder zurück.

Und es stimmt – wenn ich einen ganzen Monat ohne „Schummeln“ jeden Tag auf der Matte stehe, fließt die Sequenz durch mich hindurch. Mal klemmt dieses Gelenk, mal ist jener Muskel verspannt, aber das macht nichts, denn wir üben es ja morgen wieder. Ich fühle ich mich sowohl durch die Praxis entspannt, als auch durch die wegbleibende Suche nach Ausreden, wenn der Wecker klingelt. Die kompromisslose Disziplin vereinfacht mein Leben und macht Raum für innere Gelassenheit. Ich habe mich also gefragt:

Wann sind Einwände wie „ich brauche Zeit für mich“ wirklich hilfreich, und wann sind sie eine sehr kluge Masche des inneren Schweinehunds?

Vor dem Dilemma stehe ich übrigens nicht nur beim Yoga. Auch bei der Arbeit will ich auf mich achten, nicht im Hamsterrad immer schneller laufen, bis ich nicht mehr kann. Gleichzeitig würde ich wohl sehr erfolglos dasitzen, wenn ich nur das tun würde, was sich im Moment so richtig inspirierend, spannend und toll anfühlt. Um mir den Körper, das Leben, die spirituelle Praxis aufzubauen, die ich haben möchte, muss ich über meine Grenzen hinausgehen.

Ich bin nicht hier, um irgendjemandem zu sagen, wann er oder sie durchpowern soll und wann es Zeit für eine Pause ist. Die Entscheidung liegt natürlich immer ganz persönlich bei jedem selbst. Es gibt Menschen, die sich auch nach zwölf Stunden im Büro noch ausgeglichen fühlen, andere brauchen alle zwei Stunden eine Pause. Was für dich passt, weiß ich nicht.

Ich habe mich und meinen inneren Schweinehund in letzter Zeit sehr genau beobachtet und ein paar spannende Beobachtungen gemacht:

  1. Wenn ich mich beim Faulenzen schuldig fühle und sich in meinem Kopf zwei Stimmen streiten (Stimme A, die sich ausruhen will und Stimme B, die weiß, dass das falsch wäre), kann ich das Ausruhen sowieso nicht genießen. In dem Fall folge ich also Stimme B und lege danach die Beine hoch. Nächstes Mal, wenn du also mit schlechtem Gewissen auf dem Sofa liegst, frag dich “Ist das gerade wirklich Erholung für mich?”
  2. Ein sehr cooler Trick, den ich aus einem Podcast geklaut habe: Ersetze ich muss in deinem inneren Dialog durch ich darf. Musst du morgens zum Yoga, danach ein Meeting halten und Abends mit deinen Kindern spielen, oder darfst du all diese Dinge? Ich verbinde “etwas für mich tun” gerne mit ganz bestimmten Entspannungsaktivitäten (baden, lesen, Kino, ausschlafen…). Was, wenn diese Ansicht viele Aktivitäten zu unrecht als “Muss” abstempelt? Was, wenn ich den Großteil meines Tages total genießen könnte, durch einen kleinen Perspektivwechsel?
  3. Selbstliebe ist auch, deinem zukünftigen Selbst eine Freude zu machen. Ich habe gewisse Ansprüche an mich selbst und bin mir sicher, dass auch du dich nicht so toll fühlst wenn du dich wie jemand verhältst, der du nicht sein möchtest. Mir hilft es dann, kurz durchzuatmen, mich selbst von außen zu betrachten und die Person zu werden, die ich gerne sein möchte. Dann kann ich Abends auf meinen Tag zurückblicken (oder auf den vergangenen Monat bei der Arbeit) und mich dabei gut fühlen und noch viel mehr selbst lieben.

Dürfen wir uns jetzt also gar nicht mehr ausruhen, solange wird nicht alle E-Mails im Postfach beantwortet haben?

Was, wenn nicht die ganze Wohnung super sauber ist und wir noch nicht mit all den Verwandten telefoniert haben, bei denen wir uns zu selten melden? Natürlich darf man sich ausruhen. Und hier kommen persönliche Grenzen sowie Prioritäten ins Spiel. Die Gefahr ist nämlich, dass wir immer noch mehr und alles immer noch besser machen können und darüber das Ausruhen ganz vergessen..

Mir hilft das Eisenhower-Prinzip: Man teilt Aufgaben in “wichtig”, “dringend” und “unwichtig” und “nicht dringend” ein. Wenn etwas weder dringend noch wichtig ist, lass es einfach! Wenn es dringend und unwichtig ist, lass es vielleicht von jemand anderem erledigen – wenn möglich. Oder guck beim Erledigen Netflix – das mache ich. Und wenn etwas wichtig, aber nicht dringend ist, schreib es dir für später auf die Agenda.

So kann sich die Zeit auf der Couch dann auch wirklich richtig gut anfühlen und eine echte Erholung voller Selbstliebe darstellen.

Ich kann diesen Artikel nicht beenden, ohne Eckhart Tolle zum Thema “Faulheit” zu zitieren – einfach, weil es so genial passt!

“Or is there something that you “should” be doing but are not doing it? Get up and do it now. Alternatively, completely accept your inactivity, laziness, or passivity at this moment, if that is your choice. Go into it fully. Enjoy it. Be as lazy or inactive as you can. If you go into it fully and consciously, you will soon come out of it. Or maybe you won’t. Either way, there is no inner conflict, no resistance, no negativity.” Eckhart Tolle 

In diesem Sinne wünsche ich dir entweder einen produktiven oder super entspannend faulen Tag! Lass mich gerne wissen, wie du zum Thema stehst. Ich bin gespannt!

Titelbild © Lauren Key via Unsplash

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2 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Danke für diesen tollen Beitrag. Das habe ich gerade gebraucht. Zurzeit stecke ich in so einem „Loch“ ohne Morgenroutine, regelmäßiger Sporteinheiten, aber dafür mit reichlich Süßigkeiten.
    Dein Beitrag motiviert mich meine aktuelle Antriebslosigkeit besser zu verstehen und gegenzusteuern.
    Schönen 3. Advent wünsche ich!
    Liebe Grüße Jasmin

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