„Ich will aber der Bestimmer sein!“, ruft ein kleines blondes Mädchen quer über den Strand und jagt ihrem Bruder hinterher. Die beiden haben sich offensichtlich gerade ein Spiel ausgedacht, in das bunte Plastikförmchen, andere Kinder und eine Sandburg involviert sind. Mein Freund grinst mich breit an und sagt: „Schau mal, wie du. So warst du früher sicher auch.“
Ich muss lachen. Er hat Recht: Ich bestimme gerne, wo es lang geht. Vom Typ her bin ich mehr Alpha als Beta. Ich habe meistens eine klare Idee davon, wie die Dinge laufen sollen und mag es, diese auch umzusetzen. Wenn ich wild in der Gegend herumorganisiere, Pläne für Projekte schmiede, die mich begeistern, dann bin ich voll in meinem Element.
Im Grunde genommen mag ich es, dass mein Ich gerne Bestimmerin ist.
Es hilft mir, voranzukommen und mein Leben so zu leben, wie es mir gefällt. Mit Fuck Lucky Go Happy habe ich mir zum Beispiel einen Job erschaffen, der es mir ermöglicht, weitgehend selbstbestimmt und ortsunabhängig zu arbeiten. Und auch beim Yoga-Unterrichten ist es ohnehin gut, wenn man Ansagen machen kann – im wahrsten (und natürlich liebevollsten) Sinne des Wortes.
Mein Freund freut sich meistens über meinen Aktionismus (Stichwort Wohnungseinrichtung), ruht sich bisweilen gerne darauf aus (Was wollen wir kochen?), und schafft es, mir im richtigen Moment Einhalt zu gebieten und selbst das Ruder zu übernehmen (Frollein… es reicht!). Soweit, so gut.
Doch auch hier gibt es eine Kehrseite: Wenn man ständig alles an sich reißt, hat man ordentlich zu tun.
Noch mehr, wenn man ständig dafür sorgen muss, dass die eigenen hohen Ansprüche erfüllt werden. Vor nicht allzu langer Zeit fiel mir mein bossy me ordentlich auf die Füße: Ich hatte keine Zeit mehr für mich, vergaß Pausen einzulegen und die Gedanken schweifen zu lassen. Mir wurde alles zu viel, so dass ich am liebsten alles hinschmeißen und einfach nur klein sein wollte.
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Die Lösung lag auf der Hand: Ich musste lernen, Kontrolle abzugeben.
Konkret hieß das: Mein Team bei Fuck Lucky zu erweitern, lernen, anderen mehr zu vertrauen und mir einzugestehen, dass die Welt nicht untergeht, wenn etwas mal nicht nach meinen Vorstellungen läuft; es möglicherweise sogar viel besser wird. Theoretisch kein Problem. Praktisch allerdings nicht meine leichteste Übung.
Denn Kontrolle anzugeben bedeutet immer auch, sich den eigenen Ängsten zu stellen.
Der Angst, nicht mehr gebraucht zu werden. Der Angst, Ansprüche – egal ob die eigenen oder die der anderen – nicht erfüllen zu können. Oder noch schlimmer: Der Angst, nicht gut genug zu sein.
Die Wahrheit ist natürlich: Wir können viel weniger kontrollieren als wir denken.
Diese Erkenntnis ist sicherlich der erste Schritt, aber macht es nicht unbedingt einfacher, wirklich loszulassen und dem flow zu vertrauen. Es ist die Erfahrung, die den Unterschied macht.
Ich durfte in den letzten Wochen die Erfahrung machen, dass Loslassen viel einfacher ist, als ich dachte.
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich auf Korfu in einer hübschen kleinen Kaffeebar und nippe an meinem Soja-Cappuccino. Morgen geht das Retreat bei meinem Lehrer Patrick Broome los, das allererste Retreat, das ich mache, ohne darüber zu berichten, zu assistieren oder zu unterrichten.
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Zuhause sorgt Ulrike dafür, dass neue tolle Artikel auf Fuck Lucky Go Happy erscheinen und hält mir grandios den Rücken frei. Ich vertraue ihr so sehr, dass ich beschlossen habe, nächste Woche Handy und Computer in der Schublade zu lassen und mich voll und ganz dem hinzugeben, was ich am liebsten mache: Yogaschülerin zu sein.
Mit kleinen, aber sehr bedeutungsvollen Dingen hat mir auch meine Assistentin Sabrina während meines La Vera Dolce Vita Retreats in Italien gezeigt, dass die Dinge laufen, wenn ich mich nicht kümmere. Im Gegensatz zu mir war sie immer rechtzeitig in unserer Yoga-Location am Start, bereitete den Raum vor, begrüßte die Yoga-Praktizierenden und sorgte dafür, dass nicht nur diese, sondern auch ich mich rundum pudelwohl und entspannt fühlte.
Dafür bin wahnsinnig dankbar. Und ein bisschen stolz.
Dankbar, dass ich so tolle Menschen in meinem Leben habe und stolz, dass ich wieder mal eine Hürde genommen habe, die mich ein bisschen freier und glücklicher macht. Glaub mir, es hat eine Weile gedauert, bis ich gelernt habe, abzugeben, aber es hat sich definitiv gelohnt. Denn jetzt habe ich wieder Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen und – ganz aktuell – entspannt am Strand rumzuliegen.
Wenn du immer noch denkst, dass du in allem unabkömmlich bist, dann sind diese Tipps für dich:
- Male dir das worst-case-Szenario aus. Was passiert, wenn du die Kontrolle abgibst? Wenn du nicht gerade Unfall-Chirurg*in bist, meistens nichts, was über Leben und Tod entscheiden würde.
- Mach dir klar, was wirklich wichtig ist und was weniger. Meistens verfransen wir uns in Details. Oft sind unsere Bewertungen das Problem. Sorge dafür, dass deine Mindest-Anforderungen umgesetzt werden.
- Suche dir Menschen, in deren Kompetenzen du vertraust. Ohne die Sicherheit, dass kluge Köpfe meine Vertretung machen, würde es mir schwer fallen, abzugeben.
- Lass dir Zeit. Meine Mutter würde sagen: Hühner-Dapperl (sprich: Hühnadappal). Ein Schritt nach dem anderen. Niemand muss von heute auf morgen loslassen.
- Mach dich locker. Es wird Dinge geben, die nicht 100 Prozent zu deiner Zufriedenheit umgesetzt werden. Wirklich so schlimm?
Dein Monatsmantra ist eine Frage: Wo kann ich Kontrolle aufgeben? Übe das diesen Monat, lehne dich zurück und vertraue dem Universum (oder Menschen in deinem Umfeld), dass alles gut ist.
Alles Liebe,
Rebecca
Titelbild © William Farlow via Unsplash
2 Kommentare / Schreibe einen Kommentar
Toller Artikel!
„Sorge dafür dass deine Mindestanforderungen erfüllt werden “ da hängt sich bei mir meist mein toller Plan vom loslassen schon wieder auf… Mein gesamtes Umfeld ist Meister darin unter meinen (teilweise schon lächerlich niedrigen) Mindestanforderungen Limbo zu tanzen. Da heißt es für mich dann, entscheiden woran ich mich aufreiben will… naja…
Liebe Grüße!
Hallo Louisa,
der Kommentar ist schon einige Zeit her, aber ich finde es sehr spannend…
Ist das wirklich so, dass Deine Anforderungen „lächerlich niedrig“ hängen und alle anderen in Deinem Umfeld nicht in der Lage sind, diese zu erfüllen? Das kann ich mir fast nicht vorstellen… Kennen die anderen denn Deine Anforderungen und haben sie auch das „Werkzeug“, um diese zu erfüllen?
Sicherlich kann es durchaus etwas dauern, andere Menschen in Lage zu versetzen, DInge für einen selber so zu erledigen, dass man mit dem Ergebnis gut leben kann – aber ich bin davon Überzeugt, dass es nicht unmöglich ist.
Vielleicht kannst Du Deine Energie anders nutzen – statt Dich aufzureiben, kannst Du andere „befähigen“, um letztendlich mehr Energie für andere, schönere Dinge zu haben :)
Viele Grüße
Liliana