Von der Kunst, gute Ratschläge zu geben

“Irgendwann wird es für was gut sein! Daraus lernst du sicher eine wichtige Lektion.” Oder auch: “Das Universum hat dir da eine Möglichkeit geschickt, um zu wachsen.” Wer in der Yoga-und Spiri-Blase unterwegs ist, hat derartige Sätze sicher schon in Mengen gehört, gelesen und auch gesagt – ich zumindest. Bis ich merkte, dass es manchmal wirklich verletzend und sinnlos sein kann, solche “Ratschläge” zu verteilen.

Möglichkeit zum Wachstum my ass, denkt man nämlich, wenn man einen harten Schicksalsschlag erlebt, strukturell diskriminiert wird, an Depressionen leidet oder krasse finanzielle oder andere existenzielle Probleme hat, bei denen einem ein flotter Spiri-Spruch nun wirklich nicht weiterhilft. 

Ich bin mir ziemlich sicher: Die meisten, die schon einmal einen geliebten Menschen betrauert haben, hätten lieber diese Person in ihrem Leben behalten als mal die eigene Komfortzone verlassen.

Seit mir das klar geworden ist, habe ich nicht nur solche Sätze aus meinem Vokabular gestrichen, die man eigentlich nicht einmal wirklich als Ratschläge bezeichnen kann. Ich versuche auch, mich mit praktischen Ratschlägen zurückzuhalten, solange man mich nicht darum bittet.

Ratschläge können in ganz unterschiedlichen Formen daherkommen.

Natürlich spielt erstmal eine Rolle, wer der*die Absender*in des Ratschlages ist. Je näher mir eine Person steht, desto klarer ist in unserer Kommunikation auch implizit, wann ich mir einen Ratschlag wünsche und wann nicht. Spiri-Sprüche à la “Sei doch einfach im Hier und Jetzt!” und Gemeinplätze wie “Entspann dich einfach, du kannst es sowieso nicht ändern” kommen mir dagegen eher auf Sozialen Medien unter und werden von Menschen geschrieben, die ich nicht kenne. 

Gelacht habe ich kürzlich sehr, als einer gut befreundeten Yogalehrerin, die auf Instagram über Schwierigkeiten mit ihrer neuen Mutterrolle schrieb, in einem Kommentar vorgeschlagen wurde, doch einfach jeden Tag auf die Matte zu steigen, das helfe. Diesen ungefragten Ratschlag würde ich unter der Kategorie “Danke für nichts” verbuchen, ähnlich wie extrem naheliegende Tipps für jede Lebenslage, die jede*r kennt, der*die ein Thema ein einziges Mal kurz gegoogelt hat. 

Warum geben wir so gerne Ratschläge?

Es erfüllt die meisten Menschen mit einem Gefühl der Zufriedenheit, wenn sie mit ihrem Wissen oder ihren Erfahrungen anderen weiterhelfen können. Sie fühlen sich gebraucht. Sicherlich kommen die allermeisten Ratschläge wirklich aus dem Wunsch heraus, Probleme zu lösen. 

Unbewusst hat das Geben von Ratschlägen aber auch etwas mit dem Bedürfnis nach Macht und Machtausübung zu tun, wie diese sozialpsychologische Studie zeigt. Die Teilnehmenden erlebten Machtgefühle, weil sie den Eindruck bekamen, durch Ratschläge Einfluss auf andere ausüben zu können. Eine andere Studie suggeriert, dass die Motivation von Menschen in verschiedenen Bereichen eher durch das Erteilen von Ratschlägen gesteigert wird als durch erhaltene Ratschläge. Sie zu geben, verschafft uns also immer auch einen Ego-Boost.

Das Ding ist aber: Ein ungebetener Ratschlag beinhaltet nie nur eine praktische Info.

In jedem “Tipp”, den man ungefragt bekommt, schwingt eine Meinung, ein Urteil mit, auch, wenn der*die Absender*in das nicht beabsichtigt und sich doch nur Sorgen macht.

Ich bin schlecht darin, egal zu finden, was andere Leute von mir halten. Und gerade jetzt, als werdende Mutter, fühle ich mich besonders unsicher, verletzlich und unwissend. Dementsprechend musste ich mich schon bei mehreren Gelegenheiten zusammenreißen, nicht in Tränen auszubrechen, weil die Welt mich gefühlt schon vor der Geburt für eine beschissene, verantwortungslose Mutter hält. 

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

So lautet eine Textzeile aus dem Song “Im Taxi weinen” der Hamburger Band Kettcar, an die ich aktuell oft denke. Die bestimmt aus fürsorglicher Absicht stammenden Kommentare meines null über Ernährung informierten Umfelds darüber, ob eine vegan-vegetarische Ernährung gesund für ein Ungeborenes sein kann, haben mich zum Beispiel fast in den Wahnsinn getrieben. Spoiler Alert: Vegan-vegetarische Ernährung in der Schwangerschaft ist überhaupt kein Problem.

Viel wichtiger als die Fakten: Ich fühlte mich nicht ernst genommen, bevormundet, verurteilt. Als hätte ich nicht schon über zehn Jahre der vegetarisch-veganen Ernährung hinter mich gebracht, ohne zu verhungern! Meine Strategie in diesem Fall war, zwei Bücher über pflanzenbasierte Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit zu lesen und auf eifrige Hinweise zum Thema Eisenmangel oder Proteine mit Faktenwissen zu reagieren, das meine Kompetenz unter Beweis stellte.

Ehrlicher wäre es aber gewesen, zu sagen: “Hey, weißt du was, ich bin gut informiert. Ich brauche deinen Rat hier nicht und das ist zwar lieb gemeint, aber unnötig.” 

Wir sind darauf programmiert, mit den Geschichten und Problemen anderer unsere eigenen Gefühle, Ängste und Erlebnisse zu assoziieren.

Es ist verführerisch, dann von der eigentlichen Thematik und der Person ab- und die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken, indem eine eigene Anekdote mit angehängtem Ratschlag angebracht wird. Was an dem Vergleich aber immer hinken wird: Man selbst ist nicht die andere Person.

Im schlimmsten Fall transportiert ein ungebetener Ratschlag ganz klar: Dein Gegenüber sieht nicht dich, sondern nur sich selbst. Er*sie stülpt die eigene Erfahrung, eigene Vorurteile und oft auch irgendwelches Halbwissen auf dich über, ohne zu merken, dass du anders bist.

Ihr habt unterschiedliche Werte, Prägungen, Ansichten, Erfahrungen und Wissensstände. Das wird oft vergessen und so wird der vermeintliche Ratschlag schnell von der Hilfestellung zu einem kleinen Egotrip, oder noch schlimmer: zu einer Verstärkung des Problems, wenn durch banale Ratschläge ganz klar wird, dass pures Unverständnis herrscht.

Ein guter Rat ist der, der einer Person ihren eigenen Prozess erleichtert.

Selten fragt mich eine Person: “Was würdest du denn an meiner Stelle machen?” – Und noch seltener kann ich auf die Frage eine klare Antwort geben. Spreche ich mit Freund*innen über schwierige Situationen, versuche ich, Rückfragen zu stellen, die signalisieren, dass ich mich für die Details interessiere. Ich sage nicht einfach, wie ich zu etwas stehe, sondern frage nach, um die Position meiner*s Gesprächspartner*in zu verstehen. Eventuell bringen die Rückfragen die Person auf neue Gedanken, die weiterhelfen. 

Wenn ich darum gebeten werde, einen Rat zu geben, spreche ich eine Handlungsempfehlung aus (sofern ich eine habe). Oder ich frage ganz einfach: “Willst du meinen Rat dazu?” – Wenn dann ein “Nein, ich will nur erzählen” kommt, ist das für mich komplett akzeptabel. 

Und das gilt auch, wenn jemand mir von etwas verhältnismäßig banalem wie Nackenschmerzen erzählt. Als eifrige Yogalehrerin gleich zu erklären, welche Übung dagegen garantiert hilft, kommt möglicherweise ziemlich überheblich rüber, wenn die Person beispielsweise schon seit Monaten deshalb ärztlich behandelt wird. Deshalb frage ich einfach nach: “Soll ich dir eine Übung zeigen?” – You get the idea.

Manchmal geht es einfach nicht ums Fixen und Lösen. 

Manchmal geht es einfach ums Zuhören, darum, da zu sein und mit einer Person auszuhalten, was es auszuhalten gibt. Darum, zu signalisieren, dass man Mitgefühl empfindet und weiß, dass kein Spiri-Gemeinplatz, kein Super-Tipp, kein*e Schaman*in der Welt die Situation gerade einfacher macht.

Damit respektierst du das Erleben und die Grenzen deines Gegenübers und siehst die Person als das Individuum, das sie ist. Das ist es, was sich die meisten Menschen wirklich wünschen, wenn sie uns von sich erzählen.

Und wenn dir mal wieder jemand eine hanebüchene Empfehlung gibt, die keiner Auseinandersetzung wert ist, habe ich dann doch noch einen Rat für dich: stur lächeln, nicken und auf Durchzug stellen.

Dein Monatsmantra: Ich bin ein*e aufmerksame Zuhörer*in und gebe meinem Gegenüber Raum.

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