Da sitze ich bei Uli im Wohnzimmer und spiele das erste Mal Harmonium. Ich bin genauso musikalisch wie erwartet – nämlich überhaupt nicht.
Ich haue öfter mal neben die Tasten, vergesse die Luft zu pumpen und singe fröhlich, aber ganz schön schief vor mich hin. Auch die von uns erdachte Farb-Code-Technik ist für mein Gehirn nur eine kleine Hilfe – ich kann mir die wenigen Tastenkombinationen einfach nicht merken.
Also entschuldige ich mich gefühlt tausend Mal für jeden daneben gegangenen Ton, bis ich Angst habe, das Harmonium überhaupt anzufassen, um eine weitere, schiefe Melodie aus ihm heraus zu quälen. Bis Uli mir sagt, dass ich damit aufhören soll und dass ich keinen Grund dafür hätte.
Nicht nur in diesem Moment, auch in anderen Alltagsmomenten entschuldige ich mich am laufenden Band.
Wenn ich mich unterwürfig bei der Frau an der Kasse entschuldige, weil ich lange zum Einpacken brauche: „Es tut mir total leid, ich weiß nicht was heute los ist!“ Bei dem Typen in der U7, der mich genervt zur Seite schubst, als er am Hermannplatz aus der vollgestopften Bahn hastet, während ich tagträume: „Oh nein, Entschuldigung!“ Für meine Wortmeldung in einer hitzigen politischen Diskussion: “Sorry, aber ich finde eigentlich…”
Oder für ehrliche Worte an eine gute Freundin: “Entschuldige, dass ich das jetzt so offen sage, aber…”
Entschuldigen ist zum Reflex geworden, als würde ich mich für meine bloße Existenz rechtfertigen.
Ist das Entschuldigen in den oben genannten Situationen angebracht? Gar notwendig und auf jeden Fall gesellschaftlich erwartet?
Und auch wenn das nicht der Fall sein sollte: Ist es überhaupt schlimm, sich ständig zu entschuldigen, oder einfach total höflich von mir und allen anderen Entschuldigungsfreaks?
Entschuldigungen sind der soziale Kitt unserer Gesellschaft.
Sie sind nicht nur ein Weg, das eigene Fehlverhalten der Gesellschaft oder einer einzelnen Person gegenüber einzugestehen, sondern auch eine Höflichkeitsformel, um die andere Person anzuerkennen und um Konflikte zu vermeiden.
Wenn der ehemalige Doktor Karl-Theodor zu Guttenberg sich öffentlich für seine abgekupferte Doktorarbeit entschuldigt, ist das richtig und wichtig.
Wenn ein Fußballspieler sich für eine Beleidigung auf dem Platz entschuldigt, ist das auch super.
Aber musst du dich dafür entschuldigen, dass du dich in einer Diskussion mit deiner Meinung zu Wort meldest? Oder beim Spätikauf, wenn du das Kleingeld nicht sofort beisammen hast, eine Entschuldigung herunterbeten?
Diese Arten von Entschuldigungen lassen sich oftmals auf Ängste zurückführen.
Ängste davor, nicht anerkannt oder nicht gemocht zu werden. Wir entschuldigen uns, weil wir das Gefühl haben, too much zu sein.
Um auf das Harmonium-Beispiel am Anfang zurückzukommen: Warum habe ich mich bei Uli entschuldigt, dass ich nicht beim ersten Berühren des Harmoniums das ultimative Mantra herausgeschmettert habe? Ich habe ihr damit keine Verletzung hinzugefügt – außer eine kleine akustische – oder sonstiges. Ich habe mich geschämt, weil ich Angst habe, so wie ich bin, nicht gut genug zu sein.
In solchen Situationen ist die Entschuldigung eine Art, Zuneigung einzufordern.
Wir wünschen uns die Bestätigung, dass wir trotz unserer vermeintlichen “Fehler” liebenswert sind.
Es gibt auch die Art von Ängsten, bei denen wir uns davor fürchten, andere mit unserem Verhalten vor den Kopf zu stoßen. Beispielsweise, weil wir offen und ehrlich unsere Meinung kundtun, mit der wir vielleicht anecken könnten.
Aber sei dir bewusst: Du bist nicht für jede Gefühlsregung deines Gegenübers verantwortlich! Du musst dich nicht aus jeder Konfliktsituation, in der Streit drohen könnte, herauswinden, indem du die Schuld auf deine Kappe nimmst.
Stattdessen sollten wir lernen, zwischenmenschliche Spannungen zu akzeptieren und in dem Moment auszuhalten und nicht sanftmütig alles glattbügeln zu wollen.
Das gilt übrigens auch ein als typisch weibliches Verhalten: 75% aller Entschuldigungen stammen von Frauen. Deshalb sollten wir den Entschuldigungs-Teufelskreis direkt samt aller anderer antrainierter Geschlechterunterschiede in die Tonne befördern.
Durch die inflationäre Entschuldigungskultur besteht außerdem die Gefahr, dass eine ernstgemeinte, angebrachte Entschuldigung an Wert verliert.
Was zählt eine echte Entschuldigung noch in unserem täglichen „Sorry“-Wahn?
Wenn du dich bei dem Bettler auf der Straße entschuldigst, dass du ihm heute nichts gibst – meinst du das dann wirklich ernst? Oder erzeugen Entschuldigungen wie diese eine Art Grundrauschen, in dem ernst gemeinte Bitten um Verzeihung untergehen?
Häufiges Entschuldigen macht vor allem deine eigene Unsicherheit sichtbar.
Gestehe dir doch selbst deinen Raum auf der Straße oder die Zeit, wie an der Supermarktskasse, ein! Das geht Hand in Hand mit Selbstbewusstsein. Damit gibst du auch den Menschen in deinem Umfeld ein sichereres Gefühl, sie selbst sein zu können, und sich nicht selbst ständig entschuldigen zu müssen.
Man sollte sich ja, gerade unter Freund*innen, entspannen und man selbst sein können, ohne sich für jede Kleinigkeit zu entschuldigen.
Anstelle der Entschuldigung: Sag einfach mal danke!
Wenn ein*e Freund*in sich zum x-ten Male dein “Gejammer” über die nervige Arbeit anhört: Sag einfach mal „Danke“ dafür. “Danke, dass du mir zuhörst und mich unterstützt!” – Das gibt der Person ein viel besseres Gefühl, als eine Entschuldigung dafür, dass du deine Gefühle mitteilst. Wertschätzung: Ist es nicht das, was eine Freundschaft ausmacht?
Ein anderer Weg, mit Alltagsmissgeschicken, die bisher deine kleinteilige Entschuldigung benötigt haben, umzugehen ist:
Drüber stehen und drüber lachen!
Mach einfach mal das beste aus der Situation und nimm sie, und dich selbst in dem Moment nicht zu ernst.Wenn du zum Beispiel etwas verschüttest oder dir etwas runterfällt, klar, sag “Entschuldigung”, aber denk auch dran: Das passiert jedem. Auch deine Mitmenschen machen Fehler.
Ein herzhaftes gemeinsames Lachen verbindet in diesem Falle mehr als eine unterwürfige Entschuldigung.
Und falls du doch mal einen ernsthaften Grund für eine Entschuldigung haben solltest. Denk dran: Egal wie schwerwiegend der Fehler auch sein mag, für den du dich entschuldigst – im Endeffekt hilft dir jeder Fehler dabei, zu wachsen.
Ich trällere also fröhlich weiter und übe fleißig mit dem Harmonium. Ein*e Harmonium-Meister*in ist noch nie vom Himmel gefallen.
Wie denkst du über das Entschuldigen? Denkst du auch, dass wir uns zu oft für Kleinigkeiten entschuldigen, oder empfindest du das als eine höfliche Geste, oder gar als total wichtig? Ich bin gespannt auf deinen Kommentar.
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4 Kommentare / Schreibe einen Kommentar
Wieso meinen immer alle mit einer Entschuldigung würde man sich klein machen? Sehe ich überhaupt nicht so und ich werde definitiv nicht aufhören damit. Ich finde es eher schlimm, dass andere das nicht tun! Ich hab dich verletzt? Dein Pech, wenn du das so auffasst.
Ich finde es zu leicht zu sagen, dass die Reaktionen der anderen nichts mit mir zu tun haben. Und ob ich jetzt Entschuldigung, oder Tut mir leid sage, ist für mich persönlich reinste Wortklauberei.
Liebe Katrin,
ich finde du hast ganz recht, wenn es darum geht, dass wir anderen Leid oder Schmerz zugefügt haben. Dann sollten wir uns definitiv entschuldigen!
Ich spreche eher von den Situationen, in denen wir uns dafür entschuldigen, zu unserer Meinung zu stehen, mit der wir vielleicht anecken, oder wir uns dafür entschuldigen, wie wir sind.
Vielen Dank für deinen Beitrag und alles Liebe
Sheila
Liebe Anne,
du hast total recht! Genau darum geht es – nutzen wir die Entschuldigung jedes mal, weil wir Schuld auf uns geladen haben? Meistens eben auch aus Verlegenheit.
„Es tut mir Leid“ ist auf jeden Fall eine gute Alternative zur Entschuldigung!
Liebst
Sheila
Wenn wir das Wort „Entschuldigung“ mal genauer betrachten, steckt da die „Schuld“ drin. Aber habe ich denn jedes Mal, wenn ich mich “ entschuldige“ auch wirklich Schuld auf mich geladen? Wenn ich denke, dass ich einen Fehler gemacht habe, dann sage ich „Es tut mir leid“ – und meine es auch so! Alles andere ist, wie im Artikel geschrieben, eine Worthülse!