“You’re such a Mom Pleaser”, sagt Greg in der Serie Crazy Ex-Girlfriend zur Hauptfigur Rebecca. Es ist die Folge, in der Rebecca Besuch von ihrer Mutter bekommt und deshalb ihre ganze Wohnung umstellt, einen neuen Job erfindet und sogar einen Kollegen überreden will, mit ihrer Mutter zu schlafen, damit diese ihren Willen bekommt.
Warum sie das alles macht? Seit ihrer Kindheit wurde ihr gesagt, sie sei nicht gut genug, um den Familienring zu erben, der von Mutter zu Tochter weitergegeben wird. Dabei ist Rebecca eine extrem erfolgreiche Anwältin und hat erst mit Anfang 30 zum ersten Mal etwas getan, was nicht der Norm der perfekten, jungen Harvard-Absolventin entspricht: Sie ist aus New York City in ein totales Kaff in Kalifornien gezogen, um ihrem unerreichbaren Schwarm nahe zu sein.
Mom Pleaser, dieser Ausdruck hat etwas mit mir gemacht.
Auch wenn ich weder eine Lügenbaronin noch die Protagonistin einer überzogenen Comedy-Serie bin: Ich bin (und war es lange noch viel mehr) ein totaler Parent Pleaser. Während andere Teenager sich die Haare bunt färbten, schlechte Noten schrieben und ihre Eltern anschrien, ging ich meinen Schularbeiten nach, übte im Orchester und schauspielerte in der Theatergruppe. Klar feierte ich auch mal, aber der gelegentliche Kater wurde immer möglichst gut vertuscht.
Dass ich auch liebenswert bin, wenn ich mal scheiße bin, lernte ich in diesem Zusammenhang nicht. Denn: Ich war einfach nie scheiße.
Beziehungsweise: Ich verdeckte meine Regelbrüche so, dass sie nie thematisiert werden mussten – ganz einfach, die Logik des Parent Pleasers.
Die Gunst der Eltern für uns zu gewinnen bzw. ihnen alles recht zu machen ist ein Verhaltensmuster, das im Baby- und Kleinkindalter überlebenswichtig ist. Schließlich sichert die Nähe zu den Eltern schlichtweg unsere Existenz. Keine Eltern, kein Essen – so einfach ist das. In der Pubertät nabelt man sich zwar ab – die Motivation, möglichst keinen Bruch oder Konflikt zu riskieren, bleibt trotzdem in uns eingebrannt.
Wer Konflikten aus dem Weg geht, ist jedoch nicht ehrlich.
Die Angst vor Konflikten ist ein Überbleibsel der Existenzangst von damals. Und sie kann weit reichen. Ich wunderte mich nach meinem Auszug oft, warum sich meine Eltern scheinbar nicht besonders für mein Leben interessierten. Unser Verhältnis war doch eigentlich gut! Heimlich nahm ich ihnen übel, dass sie wenig nachfragten und die Namen meiner Freund*innen vergaßen.
Ich übersah dabei, dass ich ihnen Geschichten so erzählte, dass sie für sie verständlich waren und auf keinen Fall zu viel der Erklärung bedurften. Ich gab nichts preis, was irgendwie anecken oder aus dem Rahmen fallen könnte, sondern eine glatt gebügelte Version meines Studentinnen- und Berlinlebens. Das ging so weit, dass ich mein erstes Tattoo vor ihnen versteckte. Lass dir das auf der Zunge zergehen: Ich habe im Alter von 27 Jahren ein Tattoo vor meinen Eltern versteckt!
Wir alle wollen von uns nahestehenden Menschen vor allem eins: gesehen werden.
Wir wollen, egal in welcher Beziehung, als ganzer Mensch mit Stärken und Schwächen gesehen, angenommen und geliebt werden. Wir wollen interessant gefunden und vermisst werden. Wir wollen auch mal scheiße sein dürfen – aber genau das trauen wir uns manchmal nicht. Stattdessen benehmen wir uns so, dass die anderen keinen Grund haben, uns zu kritisieren.
Natürlich füllen wir im Alltag verschiedene Rollen aus und zeigen nicht jedem unsere komplette Persönlichkeit. Zu meiner Freundin verhalte ich mich anders als meiner Chefin gegenüber. Mein Vater sieht andere Facetten von mir als mein Freund. Aber idealerweise sollten wir eben UNSERE Facetten zeigen, und nicht die, von denen wir glauben, dass die*der andere sie sehen will.
Wenn wir uns – egal in welcher Rolle – verstellen, weil wir nicht möchten, dass das Gegenüber sich sorgt, weil wir keine Lust auf einen Streit oder Angst davor haben, was die Leute über uns denken, dann tragen wir eine Maske über unserer Persönlichkeit. Und dafür braucht es kein agentenmäßiges Doppelleben und keine Lügenmaschinerie wie in der TV-Serie.
Wer gesehen werden will, muss sich aber auch zeigen.
Irgendwann blieb mir keine Wahl mehr. Warum man genau jetzt und nicht irgendwann eine Yoga-Ausbildung machen, die Karriere “hinschmeißen” und sich dafür auch noch Geld von den Eltern leihen möchte, kann man nicht in weichgespülter Version erklären. Ich musste also herausrücken mit all meinen Wünschen, Bedürfnissen und Hoffnungen für die Zukunft.
Dass ich selbst bis dahin aus unbewusster Angst vor Ablehnung immer elegant an scheinbar brenzligen Themen vorbei und in sichere Fahrwasser hinein navigierte, scheinbar die Erwartungen erfüllte und damit die Distanz zwischen meiner Familie und mir vergrößert hatte, wurde mir in dem Moment klar, als ich in Tränen ausbrach, weil mein Vater zunächst mit Unverständnis reagierte.
Seit ich verstanden habe, dass ich Teil des Problems bin, kann ich es endlich lösen.
Ja, es kann anstrengend sein, Konflikte anzusprechen oder anderer Meinung zu sein als dein Umfeld. Es erfordert sehr viel Mut, den eigenen Weg zu gehen. Denn damit nabelst du dich von denen ab, die dir den ersten Teil deines Wegs bereitet haben.
Verantwortung für die eigene Persönlichkeit und den eigenen Weg zu übernehmen, bedeutet im Grunde nichts anderes, als endlich wirklich erwachsen zu werden.
Den Unterschied zwischen Beziehungen, in denen du dich zeigst, und welchen, in denen du unauthentisch bist, kennst du wahrscheinlich selbst sehr gut.
In authentischen Beziehungen fällt es dir leicht, dich zu melden und in Kontakt zu bleiben. Und wenn ihr lange nicht gesprochen habt, dann ist da trotzdem immer gleich wieder eine gewisse Vertrautheit. Du hast nicht das Gefühl, viel über deine Wortwahl gegenüber der Person nachdenken zu müssen, sondern du kannst – und willst! – immer frei von der Leber weg erzählen, wie es dir geht. Die Kommunikation zwischen euch ist einfach irgendwie im Flow: ein Zustand, den man nicht immer aktiv herbeiführen kann.
Ein einfaches Rezept, wie man lernt, sich wirklich mit allem zu zeigen, was da ist, kenne ich leider nicht.
Hier aber ein paar Denkanstöße.
- Überlege, welchen Personen in deinem Umfeld endlich dein wahres Ich sehen sollten. Wem gegenüber fühlst du dich manchmal unauthentisch?
- Wenn du mit diesen Menschen sprichst: Sei besonders aufmerksam, ob du gerade Dinge schönst, verschweigst oder durchgehen lässt, weil du keine Lust hast, dich zu erklären
- Wieso machst du das? Kannst du es Schritt für Schritt abstellen?
- Überlege: Hast du Erwartungen an eine Person, von der sie vielleicht gar nichts weiß? Steht dahinter ein unerfülltes Bedürfnis deinerseits? Wenn ja, welches? Kannst du es ansprechen?
- Hast du Angst, nicht perfekt zu sein? Woher kommt diese Angst? Mach dir klar, dass du ja auch die Schwächen und Fehler anderer akzeptierst, weil du sie liebst
- Gibst du der anderen Person die Schuld an schlechter Kommunikation oder einer einschlafenden Beziehung?
- Ist dir insgesamt sehr wichtig, was andere über dich denken? Warum? Wie könntest du probieren, dich davon zu lösen?
- Machst du es im Allgemeinen gerne anderen Leuten recht?
- Sei dir im Klaren, dass du einen Bruch riskierst, wenn du dich zeigst. Aber: Willst du eine Freundschaft oder Beziehung, die auf Lügen basiert?
Viele Einsichten hat mir Das Kind in dir muss Heimat finden* von Stefanie Stahl gegeben. Wer dieses Buch noch nicht gelesen hat: unbedingt nachholen.
Am Ende der Crazy-Ex-Girlfriend-Folge knallt es natürlich doch noch zwischen Mutter und Tochter.
Klassische Auflösung: Das Lügengebäude stürzt ein, es wird Tacheles geredet, der Konflikt wird ausgetragen. Und wie nach einem Gewitter ist die Luft danach rein. Alle atmen auf und vertragen sich.
Vielleicht riskiert man auch die eine oder andere Beziehung, wenn man die Komödie beendet. Dann ist aber die Frage, welche Art von Beziehung es war, die die Wahrheit nicht vertragen hat. Wahrscheinlich eine, die man langfristig nicht wirklich in seinem Leben haben möchte.
Wir haben eigentlich alle einen ganz guten Fake-Detektor, der anspringt, wenn jemand eine Komödie vorspielt. Verrückt, dass wir trotzdem selber ständig denken, wir müssten uns verstellen. Dabei finden wir die Menschen, die sich wirklich zeigen, doch immer wahnsinnig schön und bewundernswert, egal wie unperfekt sie sind.
Dein Monatsmantra: Ich zeige mich mit allem, was da ist, und lasse zu, gesehen zu werden.
Titelbild © Sheila Ilzhöfer
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- Solltest du FLGH seit kurzem erst lesen, ist dies vielleicht dein erstes Monatsmantra. Bis 2017 schrieb Rebecca monatlich einen solchen Artikel, dann war es Zeit, die Serie auf Eis zu legen – bis jetzt. Wir FLGH-Redaktionsmitglieder wechseln uns nun monatlich ab und schreiben hier über die Dinge, die uns bewegen. Alle alten Monatsmantras kannst du hier nachlesen.