So sprichst du als Yogalehrer*in inklusiver

“Hier geht es nicht um Leistung oder Wettbewerb. Yoga ist für alle Körper. Du musst nicht flexibel sein. Diese Klasse ist für alle Level geeignet.” So oder so ähnlich klingt es immer, wenn erklärt wird, warum jede*r beim Yoga willkommen ist.

Ich spreche häufig mit Kolleg*innen darüber, warum scheinbar immer derselbe Typ Mensch in unseren Yogaklassen auftaucht, obwohl wir doch offen für alle sein wollen. Warum die Diversität in den hiesigen Yogastudios nicht gegeben ist. Es gibt bei uns in den Kursen irgendwie verhältnismäßig wenige ältere oder mehrgewichtige Menschen, fast keine BIPoC, wenige, die “körperlich unfit” sind. Ganz zu schweigen von Menschen mit Behinderungen.

Wir wünschen uns Diversität im Yogaraum, aber unbewusst schließen wir viele Menschen aus.

Das beginnt natürlich beim finanziellen Aspekt von Yoga. Für viele ist es zu teuer. Dazu kommt, dass sich in Räumen, in denen hauptsächlich weiße, normschöne Menschen unterwegs sind, nicht jeder andere Mensch auch willkommen und wohl fühlt. Wir müssen uns als Lehrende, Studiobesitzer*innen und auch als Yogaschüler*innen an an die Arbeit machen, das zu ändern, wenn wir wirklich das Konzept von Yoga = Einheit leben und sichere, angenehme Räume für ALLE herstellen wollen. 

>> Tipp: Schau dir dieses Video von Sophie’s Safe Space an. Ihre Denkanstöße sind super, um sich auf etwas grundlegenderer Ebene mit dem Thema Exklusivität beim Yoga und Fett-Phobie auseinanderzusetzen und herauszufinden, wie man eigentlich selbst dazu steht.

Eine Möglichkeit, bei sich selber anzufangen, ist die Sprache.

Wenn du Yoga unterrichtest, weißt du, dass präzise verbale Anweisungen das A und O sind, wenn du möchtest, dass deine Yogis dich verstehen. Im Laufe meiner Zeit als Lehrerin habe ich schnell festgestellt, dass man oft auf vier verschiedene Arten “streck dein Bein” sagen muss, bis alle diese Anweisung umsetzen. Wenn ich selbst unkonzentriert bin, sind meine Anleitungen auch ungenau und es entsteht Verwirrung im Kurs.

Sprache schafft Realität. Deshalb müssen wir sehr bewusst damit umgehen.

Ich halte das für eine ganz besonders schöne Form der Achtsamkeitspraxis – natürlich nicht nur im Yogaunterricht. Denn so, wie du präzise und bewusst deine Worte wählst, um Leute durch ihre Asanas zu führen, kannst du auch präzise und bewusst deine Worte wählen, um wirklich Platz für Diversität zu machen. 

Als Yogalehrende haben wir nur gute Intentionen und schreiben aufs Etikett: “Hier ist es egal, woher du kommst, wie du aussiehst und drauf bist” – aber um diese Intention wirklich in die Tat umzusetzen, reicht nur das Etikett eben nicht aus. Es ist wie mit retuschierten Werbe-Fotos: Auf der intellektuellen Ebene ist uns klar, dass kein Mensch wirklich so aussieht wie das Model auf dem Bild. Den absurden Schönheitsstandards, die dadurch entstehen, entkommen wir trotzdem nicht, wenn wir nicht anfangen, diversere Bilder zu zeigen.

Ich schreibe in diesem Artikel einige Vorschläge auf, die ich für sinnvoll halte, um den Yogaunterricht mithilfe von Worten inklusiver (für Menschen, die Minderheiten angehören) sowie body positive und wirklich “für alle Level” zu gestalten. Dass man dadurch alleine nicht zum Ziel von wirklicher Diversität kommt, sondern auch noch viele andere Maßnahmen nötig sind, ist klar.

#1 Wisse, warum du etwas auf eine bestimmte Art sagst

Wieso benutzt du bestimmte Formulierungen? Weil du es so gehört hast? Weil du es so schön findest? Weil deine Lehrerin so spricht? Überlege, warum du dich für welches Wort, welche Formulierung entscheidest und was die Botschaft an die Empfänger*innen deiner Nachricht sein könnte. Es wird dir schnell auffallen, dass du manches noch nie hinterfragt hast, und das ist auch ok. Jetzt tust du es ja. Und du wirst viel authentischer sprechen können.

#2 Benutze gendergerechte Sprache

Der No-Brainer unter den Maßnahmen, um inklusiver zu sprechen: Sprich gendergerecht. Nutze beispielsweise abwechselnd die weibliche und männliche Version eines Wortes, oder sprich das Gendersternchen mit (“Schüler-Pause-innen”). Oder verwende Begriffe mit Gerund, z.B. “Teilnehmende” statt “Teilnehmer”. 

#3 Neu hier? Frage nach

Ganz einfach und mit dem Bonus, dass du gleich deine Schüler*innen ein wenig besser kennen lernst: Frage am Anfang der Stunde: “Wer hier ist neu? Wer hat noch nie Yoga gemacht?” Lass die Menschen sich melden, frage sie nach ihrem Namen und gib ihnen dann im Lauf der Klasse vielleicht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. So fühlen sich Neulinge abgeholt und gesehen. 

#4 Kündige Assists an und gib die Möglichkeit zum Opt-Out

Nicht jede*r liebt es, im Yogakurs angefasst zu werden. Manche Menschen triggert das sogar. Nur ist es in so einer Situation nicht immer so einfach, geradeheraus und unaufgefordert “nein” zu sagen, weil es Gruppendruck gibt und die Angst besteht, man könnte die Yogalehrerin vor den Kopf stoßen.

Wenn du im Yogaunterricht (irgendwann wieder) Hands-On Assists gibst, gib deinen Yogis den Raum, nein zu sagen. Du könntest als Lehrende*r beispielsweise alle zuerst ins Kind bringen und um Handzeichen bitten, wenn sie heute keinen körperlichen Assist wünschen. So sieht keiner, was die anderen tun. Oder du sagst: “Ich assistiere euch auch mit meinen Händen. Wenn ihr das nicht möchtet, gebt mir einfach ein Zeichen, wenn ich zu euch komme, das ist überhaupt kein Problem!”

#5 Unterrichte Varianten möglichst wertfrei

Wir sagen, der Kurs ist für alle Level. Wir sagen vielleicht sogar Varianten für verschiedene Level an – das ist super. Und dann kommt der Hammer: “Wenn du die volle Asana üben willst,…” – “Für die Profis…” – “Wem das zu schwierig ist…” – “Wenn du nicht flexibel genug dafür bist…” – “Wenn du das nicht kannst…”

Wenn Yoga für alle ist, dann sollte es keine “bessere” oder “weniger volle” Version einer Asana geben. Natürlich gibt es schwierige Asanas, klar! Und bitte, unterrichte die gerne wenn du das möchtest! Aber der Ton macht eben die Musik. Du konstruierst mit derartigen Formulierungen eine Realität, die ein negatives Selbstbild, Leistungsgedanken und Wettbewerb befeuert und im schlimmsten Fall zu Verletzungen oder Ermüdungserscheinungen führt. Hier meine Gegenvorschläge:

  • Das Wort “optional” ist super. “Optional: Knie zum Boden.” Ohne Wertung. Fertig.
  • Statt solche Dinge zu sagen wie “die volle Asana” oder “die schwierigste Version”, sage: “Eine andere Variante wäre…“ oder nenne den Namen der Asana: “Wer Eka Pada Koundinyasana üben möchte, macht jetzt…”
  • Drehe den Spieß um: “Wer jetzt unbedingt noch weiter muss, macht das…” – damit ist der Blickpunkt komplett verschoben, denn du ermutigst die Schüler*innen somit eigentlich, eben nicht weiter zu gehen, als sie sollten oder können
  • Gerne benutze ich folgende Formulierungen: “Bleib hier. Oder…” – “Wenn das heute nichts für dich ist…” – “Wer weiter will…” – “Schritt eins ist… du kannst hier bleiben oder Schritt zwei…”
  • Wenn du sagen möchtest “für Anfänger*innen/Fortgeschrittene”, wähle die Formulierung “Wer schon länger dabei ist / wer noch neu ist” oder “Wenn das Teil deiner Praxis ist” – damit ist klar, dass die Zeit, die man schon auf der Matte verbracht hat, auch einfach einen Unterschied macht
  • Weise deine Schüler*innen darauf hin, was der Sinn der Übung ist. Viele müssen nicht in die “volle” Asana, um die unmittelbare körperliche Wirkung zu erfahren. Beispiel: “Wenn du jetzt schon eine gute Dehnung seitlich am Po spürst, super. Das wollen wir, bleib genau da. Wenn nicht, dann mache das…”

#6 Mach Werbung für Hilfsmittel

Hilfsmittel scheinen oft wie Krücken, die man braucht, weil man unfähig ist. Mein Ziel ist es aber, ihnen dieses Image zu nehmen. Ich sage oft: “Wer Hilfsmittel benutzt, zeigt Intelligenz” oder “Hilfsmittel sind Freunde” (oder Freundinnen? Hm!). Wie viele Schüler*innen sehe ich, die eigentlich ein Hilfsmittel bräuchten, sich aber ohne abmühen, weil es ihnen peinlich ist?

  • Ermuntere deine Schüler*innen, Hilfsmittel zu benutzen
  • Benutze selbst beim Demonstrieren Hilfsmittel, um zu zeigen, wie man damit umgeht
  • Unterrichte punktuell auch grundlegende Asanas mit einem Hilfsmittel für ALLE, sodass alle auch wirklich einmal die Erfahrung machen und lernen, sie einzusetzen. Auch wenn sie glauben, dass sie sie nicht brauchen
  • “Zwinge” alle, wirklich jeden einzelnen Schritt in eine Asana zu gehen, ohne vor zu hetzen (Klassiker: Kopfstand)
  • Ermutige deine Schüler*innen, absichtlich die Basic Variante oder Vorübung zu üben und unterrichte diese so lang und ausführlich, dass sie trotzdem sehr intensiv wird

#7 Geh nicht davon aus, dass alle alles wissen

Manchmal ist es gut und sinnvoll, komplexe Asanas mit einer Selbstverständlichkeit zu unterrichten, als wären sie ein Spaziergang. Das kann motivieren und man vermeidet, schon durch die Ankündigung “Jetzt wird’s schwierig!” Panik auszulösen. Und klar: Fürs Lehrer*innen-Ego ist es toll, wenn alle profimäßig durch die Sonnengrüße fließen und lauthals das Mantra mit singen, ohne dass du viel erklären musst. 

Neulinge fühlen sich aber manchmal ausgeschlossen, wenn du nur noch Sanskritbegriffe nutzt oder nie eine Erklärung anfügst. Natürlich kannst du nicht immer überall bei Null anfangen, wenn du “alle Level” unterrichtest. Aber lege dir doch für die wichtigsten Elemente kurze, prägnante Erklärungen zurecht, die du immer wieder nutzen kannst.

Beispiel: “Mula Bandha – Muskeln zwischen den Beinen nach innen und oben” – kurze Formulierungen, die du immer wiederholst, bleiben sowieso bei deinen Schüler*innen besser hängen.

#8 Sprich BIPoC nicht automatisch auf Englisch an

Internalisierter Rassismus kann sich zeigen, indem wir Menschen nach ihrem Aussehen in Kategorien einsortieren, ohne irgendetwas über sie zu wissen. Wir erkennen uns selbst nicht in der Person, beispielsweise, weil sie keine weiße Hautfarbe hat und denken unterbewusst: Diese Person ist bestimmt nicht “von hier”. – Und das passiert uns, ohne dass wir irgendeine böse Absicht haben!

Deshalb mein Rat: Geh niemals davon aus, dass jemand kein Deutsch versteht, wenn er*sie sich in einer deutschsprachigen Yogaklasse befindet. Menschen aufgrund ihres Aussehens automatisch auf Englisch anzusprechen, ist eine rassistische Mikroaggression.

Vermeiden kannst du solche Situationen im Übrigen gut, indem du anfangs der Stunde fragst, ob jemand kein Deutsch versteht. Mach das aber nur, wenn du auf Englisch unterrichten kannst.

#9 Lobe die, die modifizieren

Toller Handstand, Sebastian! Sebastian hat viel geübt und kann jetzt den freistehenden Handstand. Super. Was ich aber ehrlich gesagt oft viel lobenswerter finde ist, wenn Menschen ihren eigenen Körper ernst nehmen und die Yogapraxis modifizieren. Erstmal an einer stabilen Basis zu arbeiten ist im Kontext einer Gruppenklasse nicht nur sinnvoller, als ohne Plan und Kontrolle das Schwierigste zu probieren, was es gibt, sondern auch mutig.

Deshalb habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, vor allem auch Menschen zu loben (“Schön, Sabine!” – “Super, letzte Reihe links!”), die noch neuer dabei sind, die Hilfsmittel benutzen und das üben, was sie eben gerade üben. Das nimmt der Asanapraxis den Gedanken, dass nur tolle Leistungen bringt, wer die “schwierigste” Variante übt und “belohnt” diejenigen, die sich selbst zuhören.

Deine Worte sind machtvoll und werden wiederholt.

Je mehr du auf deine Sprache achtest, desto mehr werden auch deine Schüler*innen (und auch andere Lehrer*innen in deinem Umfeld) auf ihre Sprache achten. Wenn ich von Kolleg*innen um Feedback gebeten werde, spreche ich sie dabei deshalb sehr häufig auf Formulierungen an, die mir aufgefallen sind – sowohl in Sachen Präzision bei der Asana-Anweisung als auch in Sachen Inklusion. Das mag nerdig oder kleinkariert wirken, aber ich halte das für unglaublich wichtig und den Unterricht transformierend.

Die eigene Sprache ständig zu überprüfen und zu präzisieren, ist keine leichte Aufgabe.

Wahrscheinlich werde ich in ein paar Monaten diesen Artikel lesen und einige meiner Vorschläge problematisch finden. Natürlich sage ich manchmal Dinge in meinem Unterricht, die nicht besonders inklusiv oder gegenüber manchen Schüler*innen unsensibel sind. Und die Sprache im Yogaunterricht allein wird nicht dazu führen, dass White Skinny Able-Bodied Cis-Gender Supremacy zur Geschichte wird. Aber es ist ein Anfang. 

>> Lesetipp: Sheila hat über unsere Vorstellungen von sportlichen Körpern geschrieben, was für eine enge Vorstellung wir davon haben, was sportliche ist und wieso wir begreifen müssen, dass alle Körper sportlich sind.

Lasst uns also einfach alle besonders darauf achten, was wir sagen. Lasst uns offen sein für Feedback und Korrekturen. Lasst uns “so war es aber nicht gemeint” und “ach, bist du empfindlich” nicht mehr gelten lassen, wenn Menschen sich von Aussagen verletzt fühlen. Im Yogaunterricht und draußen!

Welche Tipps hast du noch für uns? Hast du Erfahrungen mit verletzender Sprache oder dem Gefühl, nicht ernst genommen oder gesehen zu werden? Lass es mich in den Kommentaren wissen!

Weiterführende Tipps hierzu:

  • Folge Susanna Barkataki und schau dir ihre Angebote an. Sie arbeitet sehr viel zum Thema Inklusion, kulturelle Angeignung und Diversität im Yoga
  • Folge Jessamyn Stanley, Yogalehrerin und Body Positivity Aktivistin
  • Lies Sprache und Sein* von Kübra Gümüșay. Ein Buch, das sehr schön verdeutlicht, wie Sprache die Lebensrealität beeinflusst 

Titelbild © Maddalena Zampitelli

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5 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Danke!
    Ich wollte eine Zeit lang auch keine Hands-on assists. Dabei fand ich eine Idee aus meinem Yogastudio hilfreich: Bei der Anmeldung am Tresen erhielt jede*r Teilnehmende eine kleine indische Münze, die von der Lehrerin zu Beginn der Stunde eingesammelt wurde, während die „Ankunftsmusik“ lief und alle schon auf ihren Matten waren. So gab es einen garantierten 1:1 Kontakt, in dem jede*r sagen konnte, was für die Lehrerin wichtig war (körperliche Besonderheiten, Verletzungen, Schwangerschaft, kein Assist gewünscht). Ich fand das sehr streßfrei, weil ich nicht vor allen sprechen mußte und keinen geeigneten Zeitpunkt abpassen mußte,

    1. Hallo Ada,

      danke für deinen Comment! Das ist eine sehr schöne Idee, wie quasi jede*r Schüler*in ein bisschen Zeit mit der Lehrerin hat. So lernt man sich gegenseitig auch viel besser kennen. Coole Anregung!

      Liebe Grüße

  2. Sehr, sehr schön geschrieben! Und überfällig. Es gibt übrigens im queeren Kontext tolle Kurse, in denen all das schon lange so läuft.
    Wichtig wäre auch, verschiedene Körpertypen bei den Asanas zu unterrichten, weil z.B. dickere Beine oder eine große Brust manche Asanas einfach nicht zulassen.
    Danke für diesen Text!

    1. Hallo Ma,

      danke für deinen Comment und deine Anregungen!

      Genau, das wichtigste ist, dass man nicht davon ausgeht, dass alle sind wie man selbst, sondern die „Norm“ in Frage stellt und das auch in der eigenen Sprache widerspiegelt. Nur weil meine Brüste nicht groß sind und ich die Erfahrung noch nicht gemacht habe, dass sie im Weg sind, heißt das eben nicht dass es anderen nicht trotzdem so geht. Alle mitzudenken ist leider nicht selbstverständlich und eine echte Lernaufgabe, besonders für Leute, die selber nie „aus der Norm gefallen“ sind und deshalb nicht gezwungen waren, sich das anzugucken. Ich hoffe der Artikel ist eine Unterstützung dafür.

      Alles Liebe!

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