Big Yoga: Wichtiges Angebot oder Ausgrenzung?

Big, Curvy, Plus Size oder doch lieber Fat Yoga? Egal wie man sie nennt, Yogaklassen für Körper im XXL-Format sind in. Obwohl dieser Trend auf der einen Seite einen rasanten Zuwachs genießt, stößt er auf der anderen Seite auf harsche Kritik: Angeblich sollen Yogakurse für Dicke für eine Stigmatisierung von übergewichtigen Menschen sorgen und dem Grundgedanken der Yogapraxis von Einheit widersprechen. 

Ist die Aufteilung in dicke und dünne Yogis nicht ein Widerspruch an sich?

Oder macht es Sinn, Praktizierende in Menschen mit Übergewicht und “normalgewichtige” Menschen aufzuteilen, um eine besser geeignete Yogapraxis anzubieten? Eine, die sich mit dieser Frage von Berufs wegen auseinandersetzt, ist Anja Liedtke. 

Anja Liedtke ist Big Yoga Lehrerin aus Leidenschaft. Ich habe sie zum Gespräch getroffen. Anja erzählt mir, dass sie mit ihrer Arbeit immer wieder auf Gegner*innen der XXL-Yoga-Bewegung stößt, die den Trend kritisch beäugen. Auf die Frage, ob reguläre Klassen nicht dasselbe leisten können wie spezielle Big Yoga Klassen, entgegnet sie mir:

“Das Schubladendenken ist längst noch nicht vorbei!”

Die Realität spricht nämlich oft eine andere Sprache als die der Body-Positivity-Bewegung im Netz: Trotz dieser positiven Tendenzen werden dünne Körper gesellschaftlich einfach immer noch weit mehr akzeptiert als dicke. Eine Tatsache, die sich auch auf den Matten dieser Welt widerspiegelt. Wir befinden uns leider noch lange nicht am Ende der Diskriminierung und wahrer Gleichbehandlung.

Es gibt sie nach wie vor, die Yogis, die beim Anblick von Menschen mit Übergewicht die Schubladen aufmachen und stereotypes Gedankengut auspacken.

Positive Affirmationen reichen da leider oft nicht aus, um die Vorurteile vieler abzubauen. Denn das schlanke, gelenkige Idealbild eines Yogis hält sich hartnäckig und kann schnell zum Triggerpunkt werden. Gerade für Yoga-Neulinge können falsch interpretierte Blicke, Kommentare oder ungünstige Instruktionen seitens des*der Lehrer*in schnell Unsicherheiten auslösen und vielleicht bewirken, dass die betroffene Person sich kein zweites Mal in ein Yogastudio wagen wird.

Anja erzählt mir, wie sie aufgrund ihres Übergewichts zu Beginn ihrer Praxis von einer vollkommen überforderten Yogalehrerin mitten in der Stunde gebeten wurde, ihre Praxis kurz zu pausieren. “Warte bitte, bis die anderen mit den schnellen Abfolgen des Sonnengrußes fertig sind”, hieß es. Alternativen wurden ihr nicht angeboten. Derartige Vorkommnisse sind längst kein Einzelfall und sorgen bei Betroffenen immer wieder für Gefühle der Ausgrenzung und Selbstzweifel.

Übergewichtige Übende holen viele Yogalehrer*innen aus der Comfort Zone und stellen nicht nur Übende vor neue Aufgaben.

Das ist einer der vielen Gründe, warum sich XXL-Yogaklassen als geschützte Rahmen so rasant vermehren: Die Unwissenheit und der unsichere Umgang mit dem Thema Übergewicht seitens normalgewichtiger Lehrer*innen!

Big Yoga #1: Üben im Großformat 2
© Anja Liedtke

Es ist nicht immer leicht, den Brückenschlag zwischen verschiedenen Körpertypen zu schaffen, die unterschiedliche Erwartungen in die Klasse mit einbringen.

Fragen nach alternativen Asanas oder gar Empfehlungen, um beispielsweise gelenkschonend zu üben, können zur Überforderung führen. Wer als Lehrer*in auf derartige Anliegen nicht vorbereitet ist, gerät schnell ins Schleudern und greift eventuell zu unangebrachten Überbrückungsmöglichkeiten. 

Setz dich als Yogalehrer*in mit dem Thema Big Yoga auseinander, auch wenn es dich selbst nicht betrifft!

Es gibt tolle Videos, Bücher und auch lehrreiche Tutorials, die viele Alternativen und Tipps parat halten, um gekonnt auf die Bedürfnisse deiner Schüler*innen einzugehen. Denn: Alles ist möglich, auch im XXL-Format!

Der Grundgedanke der Big-Yogaklassen ist nicht, eine Randgruppe zu bilden und Menschen voneinander abzuspalten. Vielmehr geht es darum, den Übergang zu einer gemeinsamen Praxis zu erleichtern. Übergewicht ist nach wie vor ein schambehaftetes Thema, das viele daran hindert, sich überhaupt gegenüber der doch oft körperbetonten Praxis zu öffnen. 

Big Yoga Kurse können hier als Sprungbrett dienen, auf der Matte das notwendige Selbstbewusstsein aufzubauen und etwaige Vorurteile gegenüber der Yogaübungen abzubauen. Unter der richtigen Anleitung ist nämlich viel mehr möglich, als wir oft annehmen! 

Darüber hinaus haben selektive XXL-Stunden noch einen weiteren Vorteil zu bieten: Big Yoga Lehrer*innen wie Anja unterrichten in der Regel erfahrungsbasiert und vermitteln durch ihr nicht-stereotypes Auftreten ein anderes Bild der Yogapraxis. Gerade Neulingen fällt es in einer XXL-Gemeinschaft leichter, sich mit den Praktiken zu identifizieren und die Übungen voll und ganz auf sich zukommen zu lassen.

Selbsterfahrung der Lehrer*innen vermittelt Übenden Sicherheit und kreiert ein Gemeinschaftsgefühl.

Abschließend versichert mir Anja, dass im Grunde Big Yoga Klassen auch gar nicht so viel anders seien. Wie in anderen Stunden auch stehen im Big Yoga ebenfalls Spaß und eine positive Körperwahrnehmung im Vordergrund! 

Auch ich komme durch den regen Austausch mit Anja zu dem Schluss: Yogaklassen im Großformat sind ein absoluter Zugewinn für die Yogawelt. Kritik hin oder her: Der Zuspruch und die Zufriedenheit der Übenden spricht Bände und lässt keinen Zweifel daran, dass die Big Yoga Klassen einen Mehrwert schaffen.

Wir danken der wundervollen Anja Liedtke für das Gespräch und die liebevolle Unterstützung bei der Entstehung dieser Reihe.

Du möchtest Big Yoga üben? Dann schau bei YogaEasy* vorbei! Dort findest du viele „Yoga X-Large“ Videos von Birgit Feliz Carrasco. Über www.yogaeasy.de/flgh* erhältst du einen Gratis-Test-Monat ohne nervige automatische Abo-Verlängerung. 

Über Anja Liedtke: 

Anja beschreibt sich selbst als groß, dick & Yogalehrerin. Eine Kombination, die für sie nicht passender sein könnte. Seit 2014 unterrichtet Anja Big Yoga für Vollweiber und Pfundskerle im Raum Darmstadt, mit einem klaren Ziel vor Augen: Sie möchte mehr Fülle in die Yogawelt bringen, um zu zeigen, dass Yoga frei von jeglichen Vorgaben und Stereotypen ist.

Über diese Serie:

Franzi stellt im Rahmen dieser Serie einmal im Monat Wissenswertes rund um das Thema Big Yoga: Üben im Großformat vor. In der nächsten Folge erfährst du, welche Asanas aufgrund der Körperfülle nur schwer auszuführen sind und auf welche Modifikationen du sowohl als Übende*r als auch als Lehrer*in zurückgreifen kannst.

Buchtipps:  

Bekannte Vertreterinnen des Big Yoga (deutschsprachig):

(englischsprachig)

Fotos © Anja Liedtke

Bei den mit * gekennzeichneten Links handelt es sich um Affiliate-Links. So erhalten wir eine kleine Provision, wenn du ein Produkt kaufst, und FLGH kann für dich kostenlos bleiben.

Das könnte dich auch interessieren:

4 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Als eine Yogalehrerin, der mit Kleidergröße 42 auf gut 1m70 schon Curvy Yoga angeboten wurde, alternativ auch Schwangeren-Yoga, kann ich nur bestätigen: Das Schubladen-Denken ist noch lange nicht vorbei. Und die Einteilung der Schubladen auch völlig willkürlich….

    1. Danke dir liebe Marion fürs Vorbeischauen. Ja, es sind nach wie vor utopische Maße, die in den Köpfen vieler das Schönheitsideal definieren und somit komplett verzerren – z.T. leider auch in der Yogawelt.

      Herzensgruß an dich,
      Franzi

  2. Hallo liebes Team, der Artikel ist absolut gelungen. Ich teile die Meinung von Anja vom und ganz. Auch ich unterrichte 2 meiner derzeit 8 Kurse ausschließlich RUNDRUM Yoga. Ich möchte den neugierigen Menschen Mut machen mit auf den Yoga Weg zu kommen. Yoga passt sich dem Menschen an und ist für alle da.
    Namaste
    Claudia ?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*