Kulturelle Aneignung und Yoga: Was das Problem ist

Ist Yoga Kulturelle Aneignung? Diese Frage stellen sich inzwischen einige Yoga-Lehrende und -Übende. Gut so, denn praktizieren wir hierzulande Yoga, greifen wir auf jahrtausendealte Praktiken aus Kulturen zurück, die in der Regel nicht unsere sind. Yoga hat schließlich seinen Ursprung in Indien und ist in der Westlichen Welt ein vergleichsweise neues Phänomen. 

Doch gehört Yoga irgendjemandem? Warum ist es ein Problem, wenn wir die Praktiken, die uns so gut tun, auch hierzulande einsetzen? Mit diesem Artikel versuchen wir einige grundlegende Fragen rund um Kulturelle Aneignung und Yoga zu beantworten und ein Bewusstsein für einen respektvollen Umgang mit der alten indischen Lehre zu schaffen. 

Du erfährst:

  • was Kulturelle Aneignung ist
  • warum Kulturelle Aneignung im Yoga-Kontext problematisch ist
  • was das mit der Yoga- und Wellness-Industrie zu tun hat
  • ob weiße Westliche Menschen Yoga unterrichten sollten
  • was es braucht, um einen respektvollen Umgang mit Yoga zu finden
  • Podcast-, Literatur-, und Linktipps um dich intensiv mit dem Thema Yoga und Kulturelle Aneignung auseinanderzusetzen

Was ist kulturelle Aneignung? 

Es existieren so viele unterschiedliche Theorien der Kulturellen Aneignung, wie es Forschende gibt. Ein*e jede*r Wissenschaftler*in verpasst einem untersuchten gesellschaftlichen Phänomen eine eigene Note und steckt die Grenzen neu fest. 

Wir schließen uns der Yogalehrerin, Autorin und Aktivistin Susanna Barkataki in ihrer Definition an: “Kulturelle Aneignung ist, wenn sich jemand Teile einer marginalisierten oder Minderheiten-Kultur zu eigen macht, Praktiken, Symbole, Rituale, Kleidung oder andere Elemente eingeschlossen, ohne den Ursprung, die Quellen oder die Mitglieder derselben zu achten.” [Übersetzung d. Redaktion] 

Die Autorin, Musikerin und Aktivistin Noah Sow spricht ebenfalls von einer “Dominanzkultur, [die] ursprüngliche Bedeutungsgebungen, Symbolgehalte und inhaltliche Bezugnahmen der vereinnahmten […] Kultur verflacht, verfälscht oder verzerrt, was bis zu kulturellen und als eigen deklarierten Neuschreibungen in weißen/Westlichen Kontexten führen kann.“ [Quelle: siehe unten bei Literatur, Arndt und Ofuatey-Alazard]

Kulturelle Aneignung findet demnach in (post-)kolonialen Kontexten statt und verdeutlicht ein Machtgefälle, bei dem ein Akteur*in des globalen Südens die untergeordnete Rolle einnimmt und ein*e Akteur*in des globalen Nordens die dominante. Mitglieder der weißen, Westlichen Mehrheitsgesellschaft können demnach keine Kulturelle Aneignung erfahren, genauso wenig, wie sie Opfer von Rassismus werden können. 

Konkret heißt das: Trägt eine Inderin ein Dirndl, weil ihr das traditionelle bayrische Outfit gefällt, ist es keine Kulturelle Aneignung. Trägt eine weiße Deutsche aus dem gleichen Grund einen Sari, ist es Kulturelle Aneignung. Es geht also nicht um das Outfit an sich, sondern um die ungleich verteilten Privilegien, die die Frauen aufgrund ihrer Herkunft, Geschichte und Hautfarbe genießen. Trägt die weiße Frau einen schottischen Kilt, sprechen wir übrigens nicht von Kultureller Aneignung, weil innerhalb Europas dieses Machtgefälle nicht existiert. 

Warum ist kulturelle Aneignung im Yoga-Bereich ein Problem? 

Trotzdem fragen sich viele, was sie denn eigentlich als Privatpersonen, die gerne Yoga praktizieren, weil es Körper und Geist so gut tut, damit zu tun haben. Die Berliner Yogalehrerin Sangeeta Lerner beschreibt im Interview mit Fuck Lucky Go Happy vieles, was sie in Westlichen Yogaklassen beobachtet, als deplatziert und aus dem Zusammenhang gerissen: “Viele Lehrer*innen stellen Bilder von indischen Gött*innen in ihren Klassen auf, sei es Kali oder Ganesha, aber sie haben dabei keine wirkliche Ahnung, was sie eigentlich bedeuten. […]”

Auch das Wort namasté hat in Indien viele Bedeutungen, wird aber hauptsächlich zur Begrüßung genutzt. Hier wird es im Yoga-Kontext eher floskelhaft und nahezu inhaltslos verwendet: “Namasté ist für mich eine Begrüßung, die nur zu älteren Menschen gesagt wird, eine Respektsform. Beim Yoga ist es also total out of context […], und erst Recht am Ende der Klasse”, fügt Lerner hinzu. 

Diese Beispiele sind zwei von vielen, und objektiv betrachtet erstmal keine Katastrophen; das dahinter liegende Problem ist die lange Geschichte kolonialer und postkolonialer Strukturen, der die Yogapraxis unterliegt. Während die indische Bevölkerung während des britischen Kolonialismus mit Gewalt an den Westlichen Lebensstil adaptiert werden sollte, wurde die eigene Kultur, so auch Yogaphilosophie und -praxis, unterdrückt, verboten und teilweise zerstört. Verwenden wir jetzt heilige Symbole als Deko oder entkoppeln Mantras von ihrer eigentlichen Bedeutung, kann das Betroffene verletzen, gerade vor dem Hintergrund der Kolonialisierung. 

Denn streng genommen handeln wir so nicht besser als die ehemaligen Kolonialherren, die ihre Machtposition verdeutlicht haben, indem sie sich, keiner Konsequenzen bewusst, nahmen, was sie wollten. Mit der unbewussten Verwendung oder Aneignung heiliger Symbole reihen wir uns ein in die lange Kette kolonialer Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Und der Yogapraxis und -philosophie selbst werden wir so auch nicht gerecht.

Lesetipp: Best of Yogabücher – von Belletristik über Yogalehrer*innen-Literatur bis hin zur Yoga-Philosophie

Das drückt sich auch in der Art aus, wie Yoga hierzulande gelehrt wird: Bei dem Begriff Yoga denken wir meist an schlanke Körper, die sich in die wildesten Formen biegen lassen. In der Westlichen Welt liegt der Fokus fast ausschließlich auf Asana, der körperlichen Praxis. Dabei ist Asana nur ein kleiner Aspekt einer reichen Tradition, die sich nicht als Workout, sondern als ganzheitlicher Lebensweg versteht, der spirituelle Befreiung zum Ziel hat.

Für wen sind Yoga-Szene und Wellness-Industrie gemacht? 

Dazu kommt die weltweite, milliardenschwere Yoga- und Wellness-Industrie, die viele ihrer Gewinne durch diese Misrepresentation generiert und wo Einzelne an die Herkunfts-Gemeinschaften selten etwas zurückgeben. Des Weiteren sind diese Szenen meist White Spaces, zu denen Indigene, PoC und andere marginalisierte Gruppen wenig bis keinen Zugang finden.

Die Observation der US-Autorin und -Aktivistin Jessamyn Stanley trifft auch auf die deutsche Yoga-Szene zu: “Die Popularität von Yoga geht auf wohlhabende, weiße Menschen zurück, die auf eine ganz bestimmte Art und Weise lernen und erkunden wollten.” [Übersetzung der Redaktion] Auch wenn sie selbst es nicht gerne zugibt – die Yoga-Szene ist extrem homogen und wenig divers. Diese Homogenität wird meist durch Spiritual Bypassing genährt. 

Spiritual Bypassing ist  ein Phänomen, bei dem Probleme und schmerzhafte Emotionen hinter spirituellen Praktiken und einer good-vibes-only-Mentalität verschleiert werden; die häufig vernommenen Beteuerungen, man sähe keine unterschiedlichen Farben oder wir seien ja alle eins, kennzeichnen sich leider nicht durch Weltoffenheit, sondern vielmehr durch ein Augenverschließen vor der offensichtlichen Realität, in der Herkunft, Ethnie und Geschlecht durchaus mit dem Vorhandensein von Privilegien verbunden sind.

Sollen weiße, Westliche Menschen kein Yoga mehr unterrichten? 

Das Ganze zu verstehen und zu verdauen, ist nicht angenehm. Zu Recht fragt man sich, ob das Resultat daraus wäre, dass weiße, Westliche Menschen kein Yoga mehr unterrichten sollten. Sangeeta Lerner schlägt Lehrenden vor: “Frag dich, warum du Yoga unterrichtest. Und ob das, was du unterrichtest, wirklich Yoga ist.” 

Die viel wichtigere Frage ist folglich, wie man es besser machen kann, um Yoga respektvoll zu lehren, den angerichteten Schaden zu minimieren und sich in Zukunft gleichwertig und auf Augenhöhe begegnen zu können. Denn Aneignung findet statt, egal wie man es dreht und wendet. Sich über die Machtstrukturen in unseren Gesellschaften bewusst zu werden, ist der erste Schritt, um diese Stück für Stück zu zerschlagen. 

Wie können wir respektvoll Yoga unterrichten?

Es gibt kein Patentrezept, noch Heilung auf Knopfdruck. Viele wünschen sich eine Art Anleitung, wie sie denn nun richtig Yoga unterrichten können. Doch diese Liste gibt es nicht. Es geht in der Debatte um Kulturelle Aneignung nicht um weiße Westliche Menschen und um deren Befindlichkeiten. Sie können sich jedoch mit dem Thema Yoga und Kulturelle Aneignung auseinandersetzen und wahrhaftig zuhören, und zwar denen, die es betrifft. 

Die Journalistin Jarune Uwujaren sagt: “Wir haben die Verantwortung, den Menschen marginalisierter Gruppen zuzuhören und so viel wie möglich der offensichtlichen und subtilen Weisen zu verstehen, auf die sie ausgebeutet und unterdrückt werden, und wir müssen uns ausreichend bilden um informierte Entscheidungen zu treffen, wenn wir mit Menschen anderer Kulturen interagieren.” [Übersetzung der Redaktion]

Gerade für Yogalehrende kann es eine tiefe, yogische, auch schmerzhafte Erfahrung sein, sich auf diesen Prozess einzulassen und sich mit den eigenen internalisierten Rassismen und globalen Machtstrukturen auseinanderzusetzen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass das bedeutet, ein Stück der ach so heilen Yoga-Welt loszulassen und anzuerkennen, dass auch hier die gleichen Hierarchien herrschen wie überall. Doch es lohnt sich, denn ausgerechnet die Yoga-Praxis Werkzeuge hinter die Oberfläche zu schauen, Spannung auszuhalten und neue Wege für ein liebevolleres Miteinander, Gerechtigkeit und besseres Morgen zu finden.

Denn im Endeffekt geht es um Eines: Eine bessere, gerechtere Welt, in der keine*r weniger haben soll, als der*die andere. So besteht auch nicht der Anspruch, der weißen Mehrheitsgesellschaft ihr Recht auf die Yogapraxis abzusprechen, sondern dass wir alle gleichermaßen profitieren.

Wir möchten mit diesem Artikel keineswegs suggerieren, dass wir die Thematik um Yoga und Kulturelle Aneignung durchdrungen haben, noch, dass wir die einzig valide Wahrheit kennen und danach handeln.

Auch ist uns bewusst, dass wir als werbefinanzierter Yoga-Blog weit davon entfernt sind, den richtigen Weg gefunden zu haben. Aber wir möchten unseren Beitrag leisten, nicht stumm bleiben, und den Dialog mit unterschiedlichen Betroffenen auf Augenhöhe am Laufen halten. 

In Deutschland ist die Diskussion um Yoga und Kulturelle Aneignung noch nicht so weit fortgeschritten wie im englischsprachigen Raum, weshalb der Großteil unserer Literatur- und Lesetipps auf Englisch ist. Wir empfehlen euch dennoch, euch weiter mit dem Thema zu beschäftigen und mit Betroffenen zu lernen. 

Yoga & kulturelle Aneignung: Buchtipps, Ressourcen, etc. 

Die folgenden Bücher und Ressourcen haben uns geholfen, zu verstehen und zu lernen, weiter zu fragen und neugierig zu bleiben.

Literatur:

Podcasts:

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*Anmerkung: Dieser Artikel ist ein Gemeinschaftsprojekt und aus vielen Diskussion untereinander und mit von Kultureller Aneignung betroffenen Personen entstanden. Wir schreiben diesen Artikel als weiße, Westliche cis-Frauen. Uns ist es, wie jeder*m anderen auch, nicht möglich, unsere persönliche Brille abzulegen, samt aller Privilegien, Prägungen und Erfahrungen. Gewiss durchblicken wir die Thematik nicht in ihrer vollen Gänze und wir freue mich über Feedback, Anregungen und Kommentare.

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25 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Kulturen sind lebendig durch Austausch. Der Begriff „kulturelle Aneignung“ ist eine verkopfte Krücke von Personen die Evolution und Fortschritt behindern und in ihrer elitären Blase leben.

    1. Es wird leider hier total verfälscht, kenne jemanden, der mehrere Jahre in Indien lebte. Diese ,zumeist Tantchen hier, die auch noch mit anderen Kulturen herzlich wenig anfangen können, eher rassistisch gar gesinnt sind, sollten es einfach lassen und stattdessen besser einen Waldspaziergang durchführen, ist besser so.

  2. Es sind fast immer diese weißen privilegierten Frauen, welche diese identitären Inhalte reproduzieren, Kontakt haben die eigentlich auch fast nur zu ihrem weißen Milieu und interessieren sich eigentlich auch wenig für Menschen anderer Herkunft, nur sich selber schmücken möchte ich mich mit meinem Verhalten, so dass ich zumindest im Zeitgeist meines Milieus nicht anecke. Kurzum, Privilegien behalten wollen, aber Abbitte leisten, um sie nicht abgeben zu müssen, das scheint mir die Strategie.

    So zu tun, als wäre der böse weiße Mann nach Asien Afrika und Amerika gekommen in absolut gerechte, friedliche und nachhaltige Gesellschaften, ist geschichtlich wie sozialökonomisch falsch. Es zeichnet eher ein Menschenbild, was nur von Hautfarbe und Herkunft g
    bestimmt wird. Also der Grundkern vieler koloniale und rechtsradikaler Ideen.

    In Indien haben die Mogule und Maharadschas seit jeher Kriege geführt, versklavt, andere unterdrückt und sich bereichert. Das Kastensystem besteht bis heute, auch der Islam transportiert dieses Ständesystem. In Indien der Neuzeit gibt es viele, die sich auf dem Rücken ihrer Landsleute bereichen und sich ein Studium an Eliteunis leisten können und weltweit arbeiten, wo sie im Westen dann nur die Opfer von kultureller Aneignung und Rassismus sind.

    Diese Ersatzreligion aus Intersektionalismus bis Critical Race Theorien aus dem Land der weltfremden Debilen produziert nur Irrsinn. Vielleicht hinterfragt ihr mal diese pseudowisdenschaftlichen Ansätze.

    1. Lieber Christian,

      danke für deinen Kommentar. Dass alle (Westlichen,) wissenschaftlichen Theorien mit Vorsicht zu behandeln und alles andere als kritikfrei sind, ist völlig klar – ebenso, dass auch außereuropäische Kulturen rassistische oder ausbeuterische Strukturen besaßen und besitzen. Trotzdem sind die oben genannten Aspekte nicht von der Hand zu weisen und beleuchten einen wichtigen Teilaspekt, über den wir reden müssen. To be continued.

      Liebe Grüße,
      die FLGHies

  3. Es gibt sehr wohl Rassismus gegenüber Weißen oder was war der Holocaust denn sonst und Sinti und Roma sind auch keine „people of color“.jemandem aufgrund seiner (weißen) Hautfarbe eine bestimmte Frisur zu verbieten oder eine bestimmte Musik zu machen ist absolut rassistisch!
    MfG Hans Schöps

    1. Lieber Hans,

      danke für deinen Kommentar.

      Rassismus ist eine Ideologie, nach der Menschen systematisch aufgrund Herkunft, Hautfarbe, Religion etc. strukturell benachteiligt und ausgrenzt werden. In Deutschland betrifft das nicht-weiße Menschen, wobei „weiß“ eine Kategorie meint, die mit nicht-deutsch gleichzusetzen ist, unabhängig von der Hautfarbe.

      Die Bezeichnung „People of Color“ geht auf eine Selbstbezeichnung der afrikanischen Diaspora in den USA zurück und weist auf eine gemeinsame strukturelle! Rassismuserfahrung hin. Der Begriff wird mittlerweile auch von marginalisierten communities in Deutschland verwendet, um die gemeinsame Erfahrung zu verdeutlichen.

      Liebe Grüße
      die FLGHies

  4. Stell dir vor, du gehst als Tochter einer indischen Familie in Deutschland zur Schule. Deine Mutter trägt ein Bindi und holt dich hin und wieder von der Schule ab. Den traditionellen Stirnschmuck finden deine Mitschüler*innen so komisch, dass sie dich dafür hänseln und auslachen. Zehn Jahre später gehst du auf ein Festival und siehst dich denselben weißen Frauen gegenüber, die Bindis als Party-Accessoire tragen. Wie würde sich das anfühlen?
    Wie wäre das mit Lederhose?
    Stell dir vor, du gehst als Sohn einer bayrischen Familie in Deutschland zur Schule. Dein Vater trägt eine Lederhose, Hosenträger, Wadelstrümpfe und einen Trachtenhut mit Gamsbart und holt dich hin und wieder von der Schule ab. Die traditionelle Tracht finden deine Mitschüler*innen so komisch, dass sie dich dafür hänseln und auslachen. Zehn Jahre später gehst du auf das Oktoberfest und siehst dich denselben Männern und Frauen gegenüber, die Lederhosen und Dirndl als Party-Accessoire tragen und kein Wort Bayrisch sprechen können auch nicht nach der 5. Maß Bier. Wie würde sich das anfühlen?
    Die Tracht ist in Bayern nämlich ein Kulturgut und das Oktoberfest ist eigentlich kein reines kollektives Besäufnis!!!

    1. Das Beispiel mit der bayrischem Tracht trifft es recht gut. Ich stamme aus einer oberbayerischen Bauernfamilie. In meiner Kindheit gehörten Dirndl und Tracht zum Alltag, während z.B. in den 80ern praktisch kein echter Münchner in Tracht aufs Oktoberfest ging. Tracht war das Kennzeichen der unterprivilegierten bäuerlichen Landbevölkerung. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Dirndl und Lederhosen waren traditionell Arbeitskleidung. In der Stadt wurden wir als Landpomeranzen verlacht. Es ist deshalb ganz klar die Kleidung einer marginalisierten unterprivilegierten Bevölkerung, welche nun auf dem Oktoberfest teilweise lächerlich gemacht wird durch ultrakurze Billigvarianten Made in China, welche wie eine Maskerade getragen werden. Ich fühle mich dadurch sehr wohl verletzt. Auf die Wiesn gehe ich nicht, sondern nur auf lokale Bierzelte auf dem Dorf.
      Hingegen fehlt im Beitrag ein wesentlicher Aspekt: Yoga war in Indien nicht zugänglich für jedermann. Es handelt sich vielmehr um eine spirituelle Praxis von hochgradig privilegierten Menschen der obersten Kasten. Diese selbst und nicht die britischen Kolonialherren haben den Yoga in dem Westen exportiert. Die Asanas selbst sind ein Ost-West-Produkt und keine rein indische Erfindung. Die reine Asanapraxis ist demnach sicher keine kulturelle Aneignung. Da ich den Hinduismus mit seinem Kastensystem für menschenverachtend halte, liegt es mir fern, religiöse Symbole zu benutzen. Ich bin immer sehr verwundert über die oft vorhandene Glorifizierung von Indien, obwohl es da doch einen eklatanten Bruch mit westlichen Werten gibt.

  5. Namaste! „Ambiguitätstoleranz “ musste ich nachschlagen, nun bin ich im Bilde. Vorweg: Lassen wir nicht zu, dass Yoga irgendeinem sonst gehört als der ganzen Menschheit. Der Hinduismus beansprucht eifersüchtig Yoga für sich und stellt dahingehend Behauptungen auf, welche sich jedoch bei näherer Betrachtung in Schmunzeln und Grübeln auflösen. Yoga ist so viel älter als der Hinduismus. Sicherlich 10.000 Jahre älter oder noch mehr. In Zeiten nach der Entstehung des Hinduismus und auch in den Jahren nach dem Tod des Gautama Buddha kam es zur Vermengung von Yoga, Hindukultur und der Lehren Bhuddas. Lösen wir uns von der Denke des Besitzens, der Inanspruchnahme von Irgendetwas mit Bezug auf geschichtliche Schuld, Kolonialismus und dem Mann-Frau-Dingens. Wollten wir die Sache streng angehen, dann müssten die Frauen der Yogastunde fernbleiben, Pranayama dürfte der Yogi erst nach 20 Jahren Guru-Schüler-Ergebenheit, Kochen und Putzen kennenlernen und Mantra- und Kirtansingen geschähe bittschön ohne „indisches“ Harmonium. Schließlich kam das in unserer Szene so beliebte Blasebalg-Tasteninstrument erst mit der Kolonialisierung nach Indien, wo es begeistert adaptiert worden ist. Bei der ganzen erregt geführten Gegenwartsdiskussion bleibt unerwähnt, dass Yoga die Einheit mit Gott bedeutet. Unterhalb unserer Hautfarbe, unterhalb unserer Geschlechtsmerkmale und unterhalb unserer Gedanken sind wir in unsrem Innersten eins mit allem. Yoga führt als bewährtes System der Meditation sorgsam und mit der Erfahrung aus sicherlich weit über 15.000 Jahren zu diesem Ziel. Der ganze gegenwärtige Ideologiereigen bringt uns weg davon, von der Veredlung unserer menschlichen Natur (Patanjali). Es ist gewissermaßen ein in weltweiten Krisenzeiten erstarktes kollektives Süchten nach Infragestellen und Spalten, wie es nun auch im Wüten von Ideologen das Yoga zu erfassen trachtet. Anstelle des Praktizierens in Einheit und Auflösung aller Unterschiede, sollen wir nunmehr wieder verstärkt Mann-Frau, weiß-schwarz, deine-meine Kultur thematisieren. Dergleichen darf nicht passieren im Ashram, im Yogastudio und auf der Yogamatte. Meine Frau und ich lehren Yoga in Münster, ganzheitlich und im Sinne Patanjalis wie Krishnamacharyas. Unsere Schüler erfreuen sich der von uns angeleiteten Asana Praxis, des Pranayama in seiner ganzen Bandbreite, der Anleitung zur Meditation und so resultierend des Gegenmodells zum Wahn da draußen. Sie bringen bemalte Steine mit, Räucherkerzen aus dem Urlaub und Obst aus dem Garten. Hier gibt es nur Glück und Einheit und Freude darüber, dass wir alle zum Yoga gefunden haben. Liebe Grüße!

    1. Hab Dank für deine wunderbaren & informativen Zeilen! Schade, dass es von hier aus 100km zu euch sind, euch hätte ich sehr gerne als Lehrer! :-)

  6. Danke für diesen Text, der hoffentlich von so so vielen gelesen wird. Das Wissen, das du hier vermittelst, ist genau das, was wir Europäer lernen müssen! Danke für diese Recherchearbeit und das angenehme Zusammenfassen.

  7. Danke für diesen wunderbaren Text! Der spricht vieles aus, was ich oft schon bewusst oder unbewusst gespürt habe.
    Die Links unter dem Artikel werde ich mir auch noch anschauen, da sie sehr interessant wirken.
    Herzliche Grüße
    Eric

  8. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit Yoga gemacht :)
    Das Boot ist z.Bsp. eine sehr gute Übung für den Bauch – häufig führt eine Schwäche am Bauch zu Rückenproblemen. Aber Empfehlungen sind natürlich ohne weitere Infos schwer, wenn nicht unmöglich. Man kann aber mit Bewegung sehr viel erreichen.

  9. Ich denke nicht nur bei der katholischen Kirche an Missbrauch und sexualisierte Gewalt. Es gibt mittlerweile fast in jeder Tradition entsprechende Fälle.

  10. Liebe Helena,
    das ist ein wunderbarer und wichtiger Text, toll recherchiert und hoffentlich regt er in jedem Leser irgendetwas an. Das „In meiner Recherche habe ich viele Artikel von indischen Autor*innen gelesen, die sich in der kommerzialisierten und komfortabel portionierten Yoga-Welt nicht wohl fühlten“ ist schon lange mein Eindruck und ich danke Dir, dass Du es in einem so informativen Artikel mal ausgesprochen hast. Ich bin selbst über das körperliche zum Yoga gekommen, meine Ausbildungen habe ich in den USA gemacht (noch schlimmer dort zum Teil der Fitness-Aspekt) und ich nehme mich nicht aus, wenn es ums Posten eindrücklicher Figuren auf Instagram geht (ich wäre dann aber auch nicht beleidigt, wenn jemand zu mir sagen würde: Das ist doch Gymnastik!“) Trotzdem beschäftigt mich das Thema: Wo kommt es eigentlich her? Was haben wir damit gemacht? Machen wir es „richtig“ oder „Kaputt“? Am allermeisten aber eigentlich: Machen wir es respektvoll? Ich werde – jetzt noch mehr – darüber nachdenken! Danke :-*

    1. Hallo Tine,

      ich danke dir!

      Neulich wurde mir der Podcast „Yoga is Dead“ (auf Englisch) empfohlen, in dem zwei US-Amerikanerinnen mit indischen Wurzeln viel über die absurden Abwandlungen von Yoga in den USA (und sicher auch in Europa) sprechen – aber auf eine ganz lustige und nette Art. Vielleicht würde der dir auch gefallen.

      Liebe Grüße
      Helena

      1. https://www.yogamehome.org/yoga-blog/artikel/yoga-politisches-instrument-indien#c4408

        Hier eine kleine Anregung warum ich Yoga lieber als Gymnastik betrachte. Ich war lange in Indien und leider sind viele der Ashrams, Yogis, Yogawissenschaftler usw. rassistisch geprägt durch Hindunationalisten. Sie finden ganz offen Hitler cool und hassen Muslime….nur so als plakatives Beispiel. Ganz unbewusst trägt die westliche Yogabewegung m.M. dazu bei eine weichgespülte Indiensichtweise einzunehmen. Ich kenne kein anderes Land in dem Rassismus und Klassengesellschaft so offen gelebt wird. Vielleicht inspiriert es dich deine Recherchen mal auszuweiten? Wem nützt Yoga? Wir wird es im Ursprungsland gelebt und von wem? Wer wird dadurch unterdrückt? Warum geht sich die westliche Yogabewegung nicht gegen indische Rassisten ab? Warum finden es Millionen muslimische Kinder herabwürdigend ihren Schultag mit den Sonnengruß zu begehen usw.? LG Martin

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