Wie ich durch meine Selbstheirat lernte, meine Wurzeln anzunehmen

Ich spüre die Blätter unter meinen nackten Füßen, der Wald, in dem ich mich befinde, bebt nur so vor Magie. Die Sonnenstrahlen fließen durch die Baumkronen und ich sehe, wie sich ein Schauspiel aus Licht und Schatten auf meinem Körper abzeichnet. Ich gehe mit wackeligen Beinen und dennoch bestimmt auf den Platz zu, den Inga liebevoll auf einer Lichtung vorbereitet hat. 

Ich sehe die anderen Frauen und spüre eine tiefe Verbundenheit. Alle sehen so wunderschön, so glücklich aus. Jede auf ihre ganz individuelle Art. Wir singen und verbinden uns mit Mutter Erde, verbinden uns mit uns selbst. 

Dann bin ich die Erste. Ich stelle mich vor den Spiegel und sage Ja zu mir selbst.

Als Frau mit afroamerikanischen Wurzeln beschäftige ich mich schon lange intensiv mit Fragen, die sich um mein Auftreten und meine Identität drehen. Ich frage mich: Wie nehmen mich andere wahr? Welche Stigmata erfülle ich in den Augen anderer? Muss ich diese erfüllen, um ein gewisses Bild aufrecht zu erhalten? Wo ordne ich mich ein? Bin ich Schwarz, Weiß, weder noch? 

Sich selbst solche Fragen zu stellen ist anstrengend. Schon von klein auf war ich immer „die Andere“. Als Kind machten sich andere Kinder über meine Haare und meine Hautfarbe lustig mit Fragen wie „Hast du eine Perücke auf dem Kopf? “ und “Warum ist deine Haut so dunkel?“ Kinder können schon ziemlich unverfroren sein. Heute bin ich die „Exotin“, die viele gern sein möchten: Viele Menschen beneiden mich um meinen Teint oder wollen meine Haare anfassen. Die Angst vor dem Anderen hat sich in Faszination verwandelt. Irgendwie paradox, oder?

Ich bin nicht in einem Schwarzen Umfeld aufgewachsen und distanzierte mich mein Leben lang von meiner Schwarzen Seite.

Anders sein, das wollte ich nicht! Mittlerweile weiß ich, dass diese Gedanken völliger Blödsinn sind. Doch der Weg dahin war nicht immer leicht: Selbstzweifel und die Angst, nicht genug zu sein, hingen wie Gewichte an meinen Füßen und erschwerten meine Schritte. 

Deshalb wollte ich einen Weg zu mehr Selbstliebe gehen. Verschiedene kleine Rituale wurden Teil meiner täglichen Routine, ich schenkte mir bewusst liebevolle Aufmerksamkeit und tat viel dafür, mich mit mir selbst zu verbinden und mit mir ins Reine zu kommen. 

Dennoch, mit allem, was ich für mich tat, fühlte ich mich trotzdem irgendwie leer, nie ganz erfüllt.

Wer sich mit dem Thema Selbstliebe auseinandersetzt, der*die weiß, dass es eine Reise ist. Eine Reise, die schier endlos erscheinen kann. Das Ziel ist leicht gesagt: Liebe dich selbst. Nimm dich so an wie du bist. Doch oft fühlte mich, als ob ich noch in Babyschuhen steckte und in ihnen einen riesigen Berg erklimmen zu müssen, um am Ende in ein wunderschönes Tal hinabschauen zu können.

Mit meinen zu kleinen Schuhen versuchte ich, geplagt von Blasen und Wunden, bis auf die Spitze des Berges zu gelangen und manchmal gelang es mir, ein Stückchen des Tals zu Gesicht zu bekommen. Das, was ich vom Tal sah, war schön, harmonisch, idyllisch. Ich wollte mehr davon sehen. Ich wollte das Tal in seiner vollkommenen Weite und Schönheit betrachten können. 

Wie jede gut vorbereitete Bergsteigerin beschloss ich, mir Hilfe zu suchen. Ein Wanderstock, der mich stütze, schien mir da nicht verkehrt.

Und den fand ich auch, Instagram sei Dank. Dort lernte ich Inga kennen. Sie beschäftigte sich mit genau den Themen, die auch in meinem Leben einen wichtigen Stellenwert einnahmen. Ich hatte bereits an einem ihrer Workshops teilgenommen und als sie bekannt werden ließ, eine zeremonielle Selbstheirat zu veranstalten, war ich Feuer und Flamme. 

Das war das erste Mal, dass ich von einer Selbstheirat hörte. Was ich zu erwarten hatte? Keine Ahnung.

Aber da ich mir auf dem Weg zu mehr Selbstliebe alle Mittel und Wege mal anschauen wollte, entschloss ich, mich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen. 

Bei einer Selbstheirat geht es für mich darum, mir das ewige Versprechen zu geben, mich zu lieben, mich selbst zu achten und mich selbst zu halten.

Egal, was kommen möge. Wie bei einer regulären Heirat eben, nur mit sich selbst. Genau das, wonach ich gesucht hatte. Also, Platz buchen und hin da.

Die Zeremonie war ausschließlich für Frauen, was ich wunderbar fand. Ich sehnte mich schon lange danach, mich mit anderen Frauen zu verbinden, die sich auch auf der Reise zu mehr Selbstliebe befanden. Ich sehnte mich nach Austausch, danach, gehalten zu werden. 

Zur Vorbereitung der Selbstheirat gehörte es, ein Ehegelübde zu verfassen.

Das Gelübde sollte alles beinhalten, was wir an uns lieben, was wir toll an uns finden. Vielen Menschen fällt es leicht, schöne Dinge über andere zu sagen, doch wenn es um sie selbst geht, ist genau das gar nicht mal so leicht. Ich setzte mich intensiv mit den Aspekten auseinander, die ich an mir schätzte. Ich schrieb auf, wie stolz ich auf mich war, auf den Weg, den ich hin zu mehr Selbstliebe bereits gegangen war. Ich schrieb auf, dass ich unendlich dankbar für die Zeit war, die ich aufgebracht hatte, mehr mit mir und meinem Sein in Einklang zu kommen. Ich sprach zu mir wie zu einer sehr guten Freundin. 

Zur weiteren Vorbereitung gehörte, ein Kinderfoto von sich mitzubringen. Ein Bild, das, so legte ich es für mich aus, zeigt, wie glücklich und unbeschwert das Leben doch eigentlich ist, wenn es außerhalb von Konventionen und Erwartungen gelebt wird. Gut, auch erledigt! 

Schließlich die Frage aller Fragen: Was ziehe ich an? Ich entschied mich für etwas, in dem ich voll und ganz ich war. Echt. Authentisch. Schön. Jetzt konnte es losgehen.

An dem Tag, an dem ich Ja zu mir selbst sagte, war ich, wie wahrscheinlich jede Braut, ziemlich aufgeregt.

Auch wenn ich keiner anderen Person gegenüberstehen würde, fühlte es sich dennoch wie ein riesiger Schritt an. Ich zog mir mein Kleid an und steckte mir allerlei schöne Blumen und Gräser in die Haare. Die Zeremonie fand mitten im Wald statt. Ich spürte eine tiefe Verbundenheit mit der Natur und mit den anderen Frauen. 

Ich konnte sein, wie ich bin, ohne Maskerade oder Spielchen. Es kann sehr befreiend sein, wenn gerade das wegfällt. Ich fühlte mich aufgehoben und gehalten, von Anfang an. Inga hatte alles wunderschön hergerichtet, der Duft von Räucherwerk lag in der Luft und hüllte uns in einen magischen Dunst. 

Ich stellte mich vor den Spiegel, der an einem Baum lehnte. Das Gelübde in der einen, das Kinderfoto in der anderen Hand. Ich legte das Foto vor mir ab und begann das Gelübde vorzulesen. Erinnerst du dich, wie ich von der Schwierigkeit sprach, sich selbst ein liebevolles Wort entgegenzubringen? Dann kannst du dir ja sicherlich vorstellen, wie schwer es war, mich im Spiegel anzusehen und mir all die schönen Dinge zu sagen. 

Oft geriet ich ins Stocken und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich hatte das Gefühl, nicht weiterlesen zu können. Doch dann sah ich das Kinderfoto an. Auf dem Bild bin ich zu sehen, wie ich fesch die Arme vor der Brust verschränke und kokett lächle: Du kannst mir gar nix, guck doch mal wie cool ich bin! 

Ich betrachtete die Frau im Spiegel und plötzlich wurde mir klar, warum ich eigentlich hergekommen war.

Während der vorangegangenen Eröffnungsrunde teilte ich mit, dass ich das Gefühl hatte, noch nicht ganz mit mir selbst im Reinen zu sein. So wirklich greifen konnte ich das Gefühl aber nicht. Zu dem Zeitpunkt der Selbstheirat, knapp einen Monat vorher, passierte etwas Schreckliches: Der Tod des Afroamerikaners George Floyd durch das menschenverachtende Verhalten Weißer Polizisten erlangte weltweites Aufsehen und schärfte das Bewusstsein vieler für ein Thema, vor dem zu lange die Augen verschlossen wurden.

Nach diesem schrecklichen Ereignis konnte ich mich nicht länger von meiner Schwarze Seite distanzieren. Schließlich war und bin ich Teil dessen, Teil des großen Ganzen. Die damit einhergehende Rassismus-Debatte um POC (People of Color) erlaubte es mir nicht mehr, die Augen davor und vor mir selbst zu verschließen.

Ich dachte nie in schwarz und weiß.

Deshalb identifizierte ich mich lange Zeit nicht als Schwarze Frau. Persönlichkeit und Identität gehen doch über reine Äußerlichkeiten hinaus?! Doch als Begriffe wie struktureller Rassismus oder White Privilege aus dem Erdboden geschossen kamen, fing ich an, gewisse Dinge und Situationen zu hinterfragen. 

Wie kann ich mich selbst aufrichtig lieben, wenn ich einen essentiellen Teil meiner Selbst nicht annehme?

Und da wurde es mir schlagartig bewusst. Losgelöst von allem, was vorher meinen Blick getrübt hatte, sah ich es ganz deutlich vor mir: 

Ich bin hier, weil ich anerkennen will, dass ich eine Schwarze Frau bin! 

Ich bin hier, weil ich mich mit meinen Wurzeln verbinden will und muss! Das war das erste Mal, dass ich diese Gedanken zu wirklichen Sätzen formuliert hatte. Sätze, die tief in meinem Herzen vergraben waren und endlich die Möglichkeit hatten, nach außen getragen zu werden. 

Da stand ich nun, eine Schwarze Frau, die bis zu diesem Zeitpunkt einen wesentlichen Teil ihrer selbst nicht annehmen konnte, nicht wollte. Eine Schwarze Frau, die sich bis zu diesem Zeitpunkt nie mit ihrer Herkunft auseinandergesetzt hatte. 

Sich einer Sache bewusst zu werden, von der man glaubt, dass sie gar nicht existiert, ist hart. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, welchen Schmerz ich in mir trug. Es fühlte sich an, als ob ich mein bisheriges Leben nur halb gelebt hatte. 

Bei meiner Selbstheirat versprach ich mir, mich so zu lieben und zu akzeptieren, wie ich bin. Ich versprach mir, mich nicht mehr zu verstecken und mich in meiner vollen Gesamtheit zu anzunehmen. 

Ich sah mich im Spiegel an und sah mich das erste Mal wahrhaftig: Ich sah eine wunderschöne, starke, Schwarze Frau. In ihrer vollkommenen Weite und Schönheit. Ich sah das Tal.

Deine Rebekah

Fotos © Lotta Faidini

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2 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Danke, leibe Rebekah, für diesen wunderbaren Beitrag – er hat Augen & Herz ganz weit geöffnet und mich einiges erkennen lassen in Bezug auf meine Herkunft. Soooo sehr danke!

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