Was bedeutet Namasté? So wird die Grußformel wirklich verwendet

Namasté – wer Yoga übt, hört den indischen Gruß vermutlich am laufenden Band. Er ist so ins Vokabular der meisten Praktizierenden eingebrannt, dass es fast schwer fällt, zu hinterfragen, wo er überhaupt herkommt und wieso man ihn hier verwendet. Fragst du dich auch manchmal nach dem genauen Hintergrund von Namasté? Wieso wird er benutzt und was bedeutet das hinsichtlich Kultureller Aneignung? Dann bist du hier richtig. 

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Was bedeutet Namasté?

Namasté bedeutet in Sanskrit wörtlich übersetzt so etwas wie Verehrung sei dir (dargebracht) oder Ich verbeuge mich vor dir; namas meint Verehrung/Verbeugung/Gruß und te kommt dem Pronomen dir gleich. Andere übersetzen es auch mit den Worten: Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in dir

Tatsächlich ist aber eine der gängigsten Übersetzungen in Indien und anderen hinduistisch geprägten Ländern schlichtweg Hallo und wird alltäglich gebraucht. Letztendlich gibt es viele unterschiedliche Interpretationen dazu; auch die indische Yogalehrerin Sangeeta Lerner sagt, “Zu dessen Bedeutung wird jede*r Inder*in eine andere Meinung haben.”

Andere Versionen sind Namaskar, Namo Namaha, Namaskara oder Namaskaram.

>>Lesetipp: Sanskrit – Wozu sollen wir die Sprache der Yogis noch üben?

Wie funktioniert der Namasté-Gruß?

Der indische Yogalehrer Prasad Rangnekar erklärt, dass der Namasté-Gruß auf drei Ebenen funktioniert: der gesprochenen, der körperlichen und der intentionalen. Schauen wir uns diese drei Teile genauer an. 

Der gesprochene Teil ist selbsterklärend: Menschen sagen Namasté zueinander.

Auf der körperlichen Ebene gibt es unterschiedliche Arten, Namasté auszudrücken. Die gängigste ist wahrscheinlich Anjali Mudra, wo die Hände vor der Brust, bzw. dem Herz-Chakra, zusammengenommen werden. Die Stirn wird dann Richtung Fingerspitzen geneigt. Bei einer leicht abgewandelten Variante werden die zusammengelegten Fingerspitzen an die Stirn ans dritte Auge gelegt; die Daumen berühren dabei die Lippen.

Laut Prasad ist die Intention der wichtigste Part. Das Gegenüber soll geehrt und wertgeschätzt werden, sowie das formlose Göttliche, das jeder Physis innewohnt. Er macht außerdem in dem Zusammenhang deutlich, dass Worte und Geste unbedeutend wären, wenn die Intention dahinter fehle. Er vergleicht es mit der Praktik des Tokenismus, bei der rein symbolisch versucht wird, sich mit den Eigenschaften einer Gruppe zu schmücken – ohne innere Motivation und Überzeugung.

Wann sagt man Namasté?

Tatsächlich sagen viel weniger Menschen in Indien Namasté, als du vielleicht denken würdest. Kein Wunder: In Indien werden all in all ca. 1800 Sprachen gesprochen. Die Verwendung von Namasté beschränkt sich dabei eher auf einige Regionen im Norden, in denen der Gruß wirklich alltäglich gebraucht wird.

Dies steht etwas konträr zu dem Bild, das uns in Yogaklassen indirekt vermittelt wird; dort wird Namasté häufig mit indischem Alltag bzw. Religion gleichgesetzt. 

“Meiner persönlichen Erfahrung nach sage ich Namasté oder Namaskar respektvoll zu älteren Menschen, und nicht, wenn ich mich verabschiede”, so Susanna Barkataki, Yogalehrerin und -ausbilderin sowie Aktivistin. Auch für Sangeeta ist Namasté ein Ausdruck von Ehre und Respekt gegenüber Senior*innen.

Laut Prasad wiederum wird durch Namasté jeder geehrt, egal ob alt oder jung, menschlich oder nicht.

>>Lesetipp: Beyond the body – Die Rolle von Asana in der Yogaphilosophie

Welche Bedeutung hat Namasté im Yoga-Kontext?

Sie ist wahrlich schwer zu finden: eine Yogastunde, die nach Shavasana nicht mit Namasté schließt. Manchmal hört man den Gruß auch zu Anfang einer Stunde, wobei am Schluss eher die Norm ist.

Das Ende einer Klasse gleicht meist einer ritualisierten Abfolge, auf die sich die Schüler*innen verlassen können; egal wo auf der Welt du praktizierst, du wirst mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nach der Tiefenentspannung ein bis drei OMs chanten, die Hände in Anjali Mudra vor die Brust legen, dich verbeugen und Namasté zur Verabschiedung murmeln. 

Das Ritual hat etwas Schönes, Vertrautes. Es erinnert dich vielleicht daran, warum du Yoga übst, du fühlst dich mit deinen Mit-Praktizierenden verbunden. Oder es gibt dir Kraft, den Alltag zu meistern, nachdem du deinen safe space, das Yoga-Studio, wieder verlassen hast. Egal, was es ist: Namasté gehört zum Yoga-Praktizieren dazu und gibt dir ein gutes Gefühl.

Vielleicht empfindest du aber auch das genaue Gegenteil und fühlst dich unwohl, eine Formulierung zu benutzen, einfach, weil alle es so machen – die aber weder deiner Sprache noch Kultur angehört.

Namasté und Kulturelle Aneignung

Egal, ob Schüler*in oder Lehrer*in, Namasté wird im Yoga-Kontext so inflationär und selbstverständlich genutzt, dass man glatt vergessen könnte, sich zu fragen, wieso eigentlich. Wenn dann auch der Großteil der Leute weder erklären kann, was genau Namasté eigentlich bedeutet, geschweige denn sich auch sonst nicht mit yogischer und indischer Kultur, Philosophie und Sprache(n) auseinandersetzt, klingt das ganz nach Kultureller Aneignung.

“Beim Yoga ist Namasté total out of context für mich, und erst Recht am Ende der Klasse. So als würde man sich mit Guten Tag verabschieden und sich dazu bedeutungsschwer verbeugen”, erklärt Sangeeta. Diesen Gedanken einmal eingepflanzt, kriegt man ihn nur schwer wieder weg. 

Der indische Comedian Akaash Singh erörtert das Thema auch höchst komödiantisch bei einer seiner Shows, der Ausschnitt ist auf YouTube viral gegangen: “Welche höhere Bewusstseinsstufe glaubst du zu erlangen, wenn du am Ende deiner Yogastunde deine Hände faltest und Hallo falsch aussprichst?”

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Der Clip ist super lustig, aber natürlich beinhaltet er mehrere traurige Wahrheiten, die durchaus problematisch sein können: die unhinterfragte Übernahme kultureller Praktiken, die Ignoranz dahinter, Dinge (in diesem Fall Worte), korrekt zu verwenden und die Westliche Sucht nach Spiritualität und Erleuchtung auf Knopfdruck, die die Wellness-Industrie verspricht zu befriedigen; ob durch Yoga, Chi Gong, Achtsamkeitstraining oder Breathwork.

Susanna Barkataki spricht in dem Kontext von einer Exotisierung und Glamourifizierung östlicher Kultur durch das Wort Namasté; häufig nutzt der*die Westliche Lehrer*in das Wort, und sei es unbewusst, um die Position als erleuchtete lehrende Person deutlich zu machen: Ich, die weise Yogalehrerin, lasse dich etwas an meiner Weisheit teilhaben. 

>>Lesetipp: Best of Yoga-Bücher – Yogaphilosophie, Yogalehre-Literatur und Bestseller

Bedeutet das, dass man Namasté nicht mehr verwenden darf?

Dieser Artikel soll keineswegs ein Verbot aussprechen, noch soll er dich dazu bringen, dich schlecht zu fühlen. Er soll vielmehr eine Inspiration sein, nachzudenken und herauszufinden, warum du bestimmte Dinge tust, die du tust.

Ebenso soll er darüber aufklären, dass es im Kontext Kultureller Aneignung Menschen geben kann, die sich daran stören, solltest du Namasté inflationär/falsch/unhinterfragt/ohne weitere kulturelle Kenntnisse verwenden. Was du mit diesem Wissen anfängst, bleibt aber ganz und gar dir überlassen!

Susanna Barkataki hat einige Fragen formuliert, die du dir stellen kannst, um deiner persönlichen Intention auf den Grund zu gehen:

  • Wieso sagst du Namasté?
  • Wertschätzt du die Kultur und sprichst du das Wort richtig aus?
  • Fühlst du dich dazu verpflichtet, es zu sagen? Hängst du daran? Wieso?
  • Gibt es eine andere Methode, dieselbe Resonanz, Schönheit, Weisheit zu transportieren?

Susannas Fragen beinhalten außerdem einen weiteren Gedanken: Bei der Debatte um Kulturelle Aneignung geht es nicht darum, was man sagen darf oder nicht. Eine Checkliste, wie man Yoga wertschätzend und respektvoll unterrichtet, gibt es nicht. Vielmehr geht es darum, sich zu bilden, informieren und zu fragen, woher wir unser Wissen beziehen und warum wir Dinge so weitergeben, wie wir es eben tun. Yoga ist seit vielen tausend Jahren ein komplexes Hybrid, das von vielen Traditionen beeinflusst wurde und stetig gewachsen ist. Als Westler*innen ist es unsere Aufgabe, den Kontext der Kolonialisierung mit einzubeziehen und uns zu fragen, welche Elemente des heutigen Yoga wirklich noch als Yoga bezeichnet werden können.

Vielleicht probierst du einfach mal, etwas anderes anstelle von Namasté zu verwenden? Wie wäre es mit einer Wertschätzung der Yoga-Tradition? Einem Danke an deine Lehrer*innen? Oder einem ehrlichen Bis bald?! Deiner Kreativität sind keine Grenzen gesetzt!

Berichte mir gerne in den Kommentaren, wie du deine Yoga-Klasse gerne beendest, oder was du dir wünschst, am Schluss zu hören.

FAQ

Welche Antwort auf Namasté?
Üblicherweise erwidert man auf Namasté ebenfalls Namasté. Einige legen dazu die Handflächen vor der Brust aneinander und deuten eine kleine Verbeugung an; obligatorisch ist das aber nicht.

Wo begrüßt man sich mit Namasté?
In Indien ist Namasté ein typischer Gruß, aber auch in anderen hinduistisch geprägten Ländern, wie z.B. Nepal, sagt man Namasté.

Ist es als Westler*in okay, Namasté zu verwenden?
Es gibt keine Regel, die es erlaubt bzw. verbietet, Namasté zu verwenden. Sei dir aber im Klaren darüber, dass Namasté hierzulande häufig in anderen Kontexten verwendet wird, als in Indien üblich, und dass sich Menschen aus Indien oder anderen hinduistisch geprägten Regionen daran stören können, sollte es falsch verwendet werden (Stichwort: Kulturelle Aneignung). Informiere dich, bevor du es unwissentlich nutzt und wenn du dir unsicher bist oder dich unwohl fühlst: lass es einfach. Es gibt noch viele andere schöne Methoden zur Begrüßung oder Verabschiedung, um Wertschätzung ausdrücken. 

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2 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Seit dem ich diesen Artikel gelesen habe, spreche ich kaum noch ein Namaste am Ende der Stunde. Tatsächlich war es auch etwas „obligatorisch“ für mich am Ende der Stunde. Mich würde interessieren, wie das aufs Chanten übertragbar ist. Ich chante nicht, weil ich es a) in meinen Ausbildungen bisher nicht gelernt habe und b) ich da ganz klar die Gefahr von kultureller Aneignung empfinde. Die Chants nicht korrekt auszusprechen und mich völligst zu blamieren halte ich für sehr naheliegend. Was haltet ihr davon? Liebe Grüße, Nina

    1. Liebe Nina,

      wie bei allem, macht hier den Unterschied, ob du a) dich wirklich damit beschäftigt hast, b) weißt, was du da singst, wie du es aussprichst c) deutlich machst, dass auch du nur Schüler*in bist, die sich diese Praktik „ausleiht“, d) in irgendeiner Form irgendetwas dafür „zurückgibst“ – was genau, das musst du herausfinden! Es ist und bleibt schwierig und wir können uns dem „richtig“ nur annähern. Den ersten guten Schritt hast du meiner Meinung nach aber schon gemacht, indem du dir überhaupt Gedanken machst und in Frage stellst, danke dir dafür! Bleib neugierig, offen, selbstkritisch, aber weich mit dir selbst – dann wirst du herausfinden, wie du handeln möchtest.

      Liebste Grüße von Danai

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