Es war tatsächlich der Gedanke an eine Yogastunde, der mir weiche Knie und dieses blöde Gefühl in der Magengegend bescherte. Ich, die Yogalehrerin. Die Bloggerin, die es nicht nur berufsbedingt liebt, neue Studios und Lehrer*innen kennenzulernen.
Genau diese Frau hatte Angst, vor einer Yogaklasse.
Nein, nicht etwa weil ich heimlich in den Lehrer verknallt oder noch nie in dem Studio war. Der Lehrer, bei dem ich an meinem letzten (!) Tag in New York üben wollte, Eddie Stern, gehört zwar zu den renommiertesten Yogalehrern unserer Zeit und in seiner Shala war ich auch noch nie, aber das war nicht das Problem.
Ich hatte Schiss, weil ich keine reguläre Ashtanga Praxis habe. Ja, nicht einmal die Sequenz ordentlich auswendig kann.
Die Ashtangis halte ich insgeheim für die real deal Yogis. Die, die es so richtig ernst meinen mit der Praxis. Die, die mitten in der Nacht aufstehen, ungefähr zwei Stunden Pranayama üben, um dann um Sechs in der Shala ihres Vertrauens zur Mysore Praxis aufschlagen. Tag für Tag (außer an Samstagen, Voll- und Neumond) schwingen sie sich mit edler Grazie durch die Vinyasas und verknoten dabei galant die Beine hinter dem Kopf. Wow!
In Wirklichkeit weiß ich natürlich, dass es ganz normale Menschen sind, die Mysore üben.
Doch Kopfkino ist eben Kopfkino und nicht immer so viel mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun. Falls du mit dem klassischen Ashtanga Yoga nicht vertraut bist: Bei der Mysore-Praxis sagt die Lehrer*in keine Asanas an – die Sequenz ist immer die selbe. Keine Musik, keine Extras, pures Atmen. Die Yogis kommen morgens in den Raum, beginnen mit ihrer Praxis und die Lehrer*innen assistieren ihnen in den Asanas oder „geben“ ihnen weitere Asanas. So erlernen sie Stück für Stück die Sequenz und verfeinern die eigene Praxis.
Da ich schon seit längerem mit Ashtanga Yoga liebäugel und vor allem meiner Freundin fest versprochen hatte, bei Eddie üben zu gehen (und ihr ein T-Shirt mitzubringen), konnte ich mir einen Besuch beim Brooklyn Yoga Club nicht entgehen lassen.
Zehn Tage lang fand ich alle möglichen Ausreden, nicht hinzugehen.
Am Wochenende zur angeleiteten Klasse war der Meister persönlich nicht da, am nächsten Tag wollte ich in ein anderes Center und dann schmerzte mein Handgelenk auch noch ganz schrecklich. Doch ich war sicher: Ich werde New York nicht verlassen ohne zum Ashtanga zu gehen.
Am Tag meiner Abreise war es dann soweit: Ich machte mich auf dem Weg zum Brooklyn Yoga Club.
Es kam wie es kommen musste: Im Yogaraum angekommen blicke ich Hilfe suchend umher. Eddie kommt sofort mit dem freundlichsten Lächeln der Welt auf mich zu und begrüßt mich. Ich erkläre ihm, dass ich nur die halbe Sequenz kann, aber schon Mysore geübt habe, Jivamukti Lehrerin bin und außerdem nur für einen Tag in der Stadt bin, aber unbedingt bei ihm üben wollte. Er freut sich, zeigt mir, wo ich meine Matte ausrollen soll und lässt mich üben, was ich kann. Zwischendurch schaut er vorbei, gibt mir leichte Assists und fragt mich, ob ich X und Y aus Berlin kenne und dass ich ihnen liebe Grüße bestellen soll.
Manche im Raum sind sehr geübt. Manche ganz am Anfang. Die Stimmung ist super. Rundum glücklich und getragen in der Energie meiner Mityogis lege mich nach einer guten Stunde Praxis in Savasana. Dann packe ich meine Matte wieder ein, bedanke mich bei Eddie und hole mir einen Chai im angeschlossenen Café.
Mein Kopfkino hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Es war richtig schön.
Und ich bin mächtig stolz auf mich. Stolz, weil ich Angst hatte und mich trotzdem getraut habe. Weil ich zwar prokrastiniert, aber mich nicht selbst verarscht habe und es am Ende geklappt hat. Und vor allem glücklich, weil es mir so gut gefallen hat. So gerne würde ich mir von Eddie Stern die erste Serie beibringen lassen! Zufrieden bin ich außerdem, weil ich jetzt einfach in Berlin zum Ashtanga gehen kann und mir die Angst davor sparen kann.
Hinter all dem steckt – wie so oft – die Angst, nicht gut genug zu sein.
Yogastudios sind mein natürliches Habitat. Ich bin es gewohnt, mich dort zu bewegen und kenne meistens die Leute dort. Selbst wenn ich fremd bin, kennt mein Körper meist die Asanas und sorgt so dafür, dass ich mich zuhause fühle. Das ist schön, doch manchmal stellt sich auch so ein been there, done that Gefühl ein.
Bei der Mysore Praxis bin ich blutige Anfängerin. Ich darf mich in Demut üben und Stück für Stück die Sequenz erlernen. Und mich daran erinnern, wie es ist, als Anfänger*in in einem Yogastudio aufzuschlagen. Nicht zu können, was die anderen können.
Mut bedeutet, etwas zu machen, obwohl man Angst hat.
Denn das gibt Raum zur Expansion. Wenn man sich immer nur in vertrauten Gefilden bewegt, wohin soll man sich denn bitte ausdehnen? Zum Bäcker gegenüber vielleicht?
Das Ding ist: Man muss die Angst spüren, herausfinden, was dahinter steckt und dann entscheiden, ob man soweit ist, der Angst ins Gesicht zu schauen.
Dass mein Schiss vor der unbekannten Sequenz am Ende vor allem mit meinem selbst auferlegten Perfektionismus zu tun hat, ist eigentlich klar. Dass mich keiner der Yogis vor Ort für irgendetwas schief ankucken würde eigentlich auch. Nur: Die Angst, nicht gut genug zu sein, sitzt tief. Und man löst sie nicht mit einem mutigen Gang in ein Yogastudio.
Doch in dem Moment, in dem ich verstanden hatte, dass es eigentlich um etwas anderes geht, war das Ashtanga-Schreckgespenst plötzlich ganz lieb. Ich musste die Angst nicht mehr nähren und konnte eine neue Erfahrung machen, die meinen Horizont erweitert und mir noch dazu Freude bereitet hat.
Dein Monatsmantra für Juni ist eine Frage: Wann warst du einmal richtig mutig?
Es ist egal, ob es sich um eine ganz kleine – wie eine Yogastunde – oder eine richtig große Sache – wie das Kündigen eines Jobs oder eine große Reise alleine – handelt. Wichtig ist, wie du die Sache bewertest. Wovor wir am meisten Angst haben, ist oft das, was wir am innigsten ersehnen.
Falls dir jetzt gar nichts einfällt oder ich dich mit meiner Geschichte angesteckt habe, dann nimm dir vor diesen Monat mindestens einmal über deinen Schatten zu springen.
Es könnte dich deinen tiefsten Wünschen ein großes Stück näher bringen.
Das könnte dich auch interessieren:
- Lesetipp: Ashtanga Yoga – die Yoga-Art für Puristen (Artikel aus unserem großen Yoga-Stile-Guide)
- Studio-Tipp: Brooklyn Yoga Club – die Shala von Eddie und Jocelyne Stern
- Buchtipp: Eddie Stern hat viele Bücher von und über Patthabi Jois, den Begründer des Ashtanga Yoga Systems, herausgebracht.
7 Kommentare / Schreibe einen Kommentar
Liebe Rebecca,
ich bin sonst immer stille Leserin, aber heute muss ich mich einfach äußern, denn gerade erst gestern hatte ich so richtig Angst.
In meiner Pole-Stunde stand diesmal Handstand an die Pole auf dem Plan. Erst kürzlich habe ich nach über einem Jahrzehnt überhaupt mal wieder einen Handstand (an die Wand) gemacht. Als die Trainerin das ankündigte, hatte ich richtig Schiss in der Buxe und wäre am liebsten gegangen.
Aber (natürlich mit Hilfestellung der Trainerin) habe ich mich dann getraut und es hat geklappt.
Sowas macht dann natürlich stolz. Manchmal muss man einfach über seinen Schatten springen und sich selbst damit was gutes tun.
In diesem Sinne wünsche ich dir ein herrliches Pfingstwochenende
Beste Grüße
Jasmin
Super! Das freut mich für dich!
Ashtanga bzw. Ashtangis werden hier m.E. negativ dargestellt. Das finde ich irgendwie schade und traurig.
Die Mysore Praxis ist nicht darauf ausgelegt, einen tollen Körper oder die Vinyasas perfekt auszuführen.
Ich kann nur von mir selbst sprechen: die Ashtanga Praxis ist eine widmende Praxis, in der ich mich mit Leib und Seele dafür ausspreche. Es geht mir weniger um die Asanas, viel mehr um die klaren Gedanken, das reine Herz und die ehrlichen Worte, die durch diese konstante, aber auch disziplinierte Praxis hevorgerufen werden.
Viele vergessen das und sehen nur, was gesehen werden will..und zwar die physische Praxis. Es ist viel mehr als das.
Devotion and Love. Tat Sat
Liebe Vincenza,
auf gar keinen Fall sehe ich die Ashtangis negativ – ich bewundere ja gerade diese Hingabe an die Praxis. Gerade deshalb begeistert es mich ja so.
Ganz wichtig: Ich habe nicht Ashtangis beschrieben, sondern MEIN Kopfkino. Das ist vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein bisschen missverständlich formuliert gewesen, hab es leicht verändert. Es war nicht meine Absicht, die Mysore oder die Menschen, die es üben negativ darzustellen. Never ever.
Ob die Praxis über das Physische hinausgeht, ist vom Yogastil völlig unabhängig, wie ich finde. Vielleicht ist es bei körperlich fordernden Yoga-Arten einfacher, sie auf Asana zu reduzieren. Aber ich gebe dir vollkommen recht: Die Intention ist alles, nicht die Anzahl der Vinyasas.
Alles Liebe
Rebecca
Ashtanga bzw. Ashtangis werden hier m.E. negativ dargestellt. Das finde ich irgendwie schade und traurig.
Die Mysore Praxis ist nicht darauf ausgelegt, einen tollen Körper oder die Vinyasas perfekt auszuführen.
Ich kann nur von mir selbst sprechen: die Ashtanga Praxis ist eine widmende Praxis, in der ich mich mit Leib und Seele dafür ausspreche. Es geht mir weniger um die Asanas, viel mehr um die klaren Gedanken, das reine Herz und die ehrlichen Worte, die durch diese konstante, aber auch disziplinierte Praxis hevorgerufen werden.
Viele vergessen das und sehen nur, was gesehen werden will..und zwar die physische Praxis. Es ist viel mehr als das.
Devotion and Love.
Liebe Rebecca, ein wirklich ganz, ganz toller Beitrag! :)) Vielen Dank dafür, dass du uns einen so intimen Blick auf dein Seelenleben gewähren hast lassen. Und uns damit zeigst, dass sogar Profis manchmal noch Bauchweh bekommen können und durchaus das eine oder andere Mal über ihren Schatten springen müssen :) Alles Liebe, Daniela
Danke für deine Worte <3