Shanti my a**: Vom Recht auf schlechte Laune

Ich schlage die Augen auf. Das Klingeln des Weckers dringt in mein Gehör, das pseudo-meditative Gebimmel reizt mich. Die kleine Buddhastatue am Nachttisch geht mir an diesem Morgen mit ihrem grenzdebilen Dauergrinsen auch auf die Nerven. Und im Büro bin ich wortkarg, selbst als Uli mein Lieblingsessen kocht und Lula uns mit veganen Donuts versorgt.

Was mit mir los ist? Ich habe einen schlechten Tag!

Und mir das einzugestehen ist gar nicht mal so einfach. Ich bekomme oft Komplimente für die Lebensfreude und Energie, die ich angeblich ausstrahle, von denen an diesem Morgen aber so rein gar nichts spüren ist. Ich beginne zu hinterfragen, wieso ich gerade so negativ drauf bin. Dabei gibt es keinen offensichtlichen Grund, keine Lebenskrise. Dann muss es sich um ein tieferliegendes Problem handeln: Wo stehe ich in meinem Zyklus? Oder zeigt sich etwa das Trauma aus einem früheren Leben, von dem meine Schamanin mir riet, es zu bearbeiten? 

Dabei ist mein Leben doch traumhaft! Ich habe das Glück, auf der vermeintlich richtigen Seite einer willkürlich gezogenen Ländergrenze geboren zu sein, ich habe eine weiße Hautfarbe und ich bin verdammt privilegiert. 

Wieso kann ich trotzdem gerade nicht positiv denken?

Da schaue ich erstmal eine Runde ins Dankbarkeitsjournal und schiebe eine fünfminütige Meditations-Einheit hinterher, um dem dauergrinsenden Buddha auf meinem Nachttisch wieder ähnlicher zu sehen. 

Denn gerade in der Yogawelt nehme ich einen Druck wahr, negative Gefühle wegzumeditieren, besser noch, sie als Lektion zu deuten, um “besser” zu werden. Bevor ich mich zu diesem Artikel durchgerungen habe, scrollte ich hirnlos durch meinen Instagram Feed, der voll ist von pseudospirituellen Feelgood Quotes.

Du hast einen schlechten Tag? Nein, du hast das falsche Mindset!

Du musst an deiner Einstellung arbeiten. Wenn du positiv denkst, werden sich, gemäß des Law of Attraction, deine Probleme von selbst lösen. Wenn das nicht klappt und du gerade nicht die beste Version deiner Selbst leben kannst, dann hast du es eben nicht genug probiert – Und überhaupt, good vibes only, please. Solche Botschaften werden uns von allen Seiten vermittelt.

Diese Art von zwanghaftem positiven Denken, die mir schlechte Tage wie diesen schwer macht, hat im Jahr 2020 natürlich auch einen Namen: Toxic Positivity

Dabei wusste schon Patanjali: Leiden lässt sich nicht vermeiden, solange man nicht erleuchtet ist.

Parinama tapa samskara duhkhaih
gunavrtti virodhaccha duhkham
evam sarvam vivekinah

The cause of suffering is change, longing, habits, and the ever-fluctuating activity of the gunas. Even the wise suffer, for suffering is everywhere.
– Yoga Sutra 2.15

Das Sanskrit-Wort dukham bedeutet so viel wie Leid. Es umfasst sämtliche Facetten des menschlichen Leids: von einem Gefühl innerer Unruhe, Schwere, Kummer, Unglück, Ärger, Wut, Trauer, Bestürzung bis hin zum Weltschmerz. Wörtlich lässt es sich übersetzen mit “Enge oder einschnürendes Gefühl im Brust- und Herzbereich”. Dieses Gefühl hat wahrscheinlich jede*r von uns schon einmal genauso gespürt.

Wir tendieren dazu, negativen Gefühlen viel weniger Raum einzugestehen als den positiven.

Na klar, wir Menschen wollen Unglück vermeiden. Deshalb hängen wir an Personen und Handlungsweisen, die uns ein Glücksgefühl versprechen – woraus wiederum Leid entsteht. Und bekommen vorgelebt, dass ein dauer-positives Bilderbuchleben erstrebenswert und auch realistisch umsetzbar ist. 

In der Yogaphilosophie aber wird davon ausgegangen, dass wir, solange wir in dem Kreislauf aus Geburt und Wiedergeburt stecken, Schmerz erleiden werden. 

Unglück, dukham und Glück, sukham sind zwei Seiten derselben Medaille.

Und dazwischen existieren Gefühle in mannigfaltigen Zwischentönen und Facetten und sie alle wollen gelebt werden. Was sie gemeinsam haben: Sie sind vergänglich! Egal ob Glück oder Unglück oder irgendwas dazwischen: Du wirst dich nie immer gleich fühlen, es bringt also nichts, Glücksgefühlen nachzutrauern.

Wissenschaftlich gesehen sind alle Gefühle an sich erstmal neutral. Die Bewertung erfolgt durch unseren kritischen Geist. Emotionen sind eine Quelle, die uns Informationen darüber liefern, was in uns und um uns herum vor sich geht und wie wir Situationen einschätzen sollen. 

Dafür sind sie aber nicht unsere einzige Quelle: Wir haben auch noch unseren rationalen Verstand, angeeignetes Wissen und Erfahrungen, Werte und Ziele. Daran sollten wir uns erinnern, wenn uns die Gefühle zu übermannen drohen. 

Der Psychologe Ph.D. Noam Shpancer vergleicht Emotionen mit dem Wetterbericht: Es ist hilfreich, über sie Bescheid zu wissen. Aber nur weil das Wetter deiner Wertung nach nicht gut ist – das heißt, es ist anders, als du dir das wünschst – bedeutet es ja nicht, dass du so tust, als wäre das Wetter gerade anders. Oder dass du direkt all deine Pläne deswegen aufgeben musst. Stattdessen musst du vielleicht einen Regenschirm einpacken, um nicht nass zu werden. 

Hier kommen meine Tipps, mit negativen Emotionen umzugehen.

Mein emotionaler Regenschirm sozusagen. Aber bitte denk daran: Sie ersetzen keine Therapie (Yoga übrigens auch nicht). Wenn du langfristige Phasen von Hoffnungslosigkeit erlebst, suche dir professionelle Unterstützung.

Nimm an, was da ist!

Statt Negatives um jeden Preis zu vermeiden, müssen wir das Gefühl, das sich zeigt, annehmen. Sobald ich aufhöre, zwanghaft jede von mir als schlecht bewertete Gefühlsregung infrage zu stellen und stattdessen akzeptiere, dass heute nicht mein Tag ist, verliert das beengende Gefühl in der Brust seine Macht über mich. 

Ph.D. Noam Shpancer hat einen weiteren, schönen Vergleich angestellt: Ein Schwimmer gerät in einen Wasserstrudel und versucht panisch mit aller Kraft gegen die Strömung anzuschwimmen. Nach einer Weile wird er müde und droht, unterzugehen. Um zu überleben, müssen Schwimmer*innen genau das Gegenteil tun: Loslassen. Die Strömung sie vom Ufer wegtragen lassen, bis sie weiter draußen schwächer wird und man bogenartig um sie herum schwimmen kann. Genauso ist es bei Emotionen: 

Gefühle mit aller Gewalt wegzuschieben wird langfristig gefährlich für deine mentale Gesundheit. 

Rück die Dinge in Perspektive!

Auch wenn ich der Meinung bin, dass wir lernen müssen, Begriffe wie “Luxusprobleme” aus unserem Vokabular zu streichen, weil alle Gefühle ihre Berechtigung haben, egal wie klein sie uns erscheinen, hilft es mir, die Dinge wieder in Perspektive zu rücken. 

Die Probleme, die wir in unserem Kopf bis zum Erbrechen hin- und herwälzen, sind mit etwas Distanz betrachtet oft gar nicht so dramatisch. Ich rede hier nicht von harten Schicksalsschlägen, die einen ereilen. Aber dieses unendliche Kreisen um uns selbst kann uns zu Gefangenen unseres eigenen Geistes machen. 

Wir haben doch noch so viel wichtiges vor! Auf den Trümmern des Patriarchats tanzen, gegen die Klimakatastrophe demonstrieren und für die Rettung des Walds vögeln beispielsweise.

Suche dir Vorbilder!

Ich fange damit an, meinen Instagram Account diverser zu gestalten. Statt dämlichen Feelgood Quotes von perfekt inszenierten Yogagirls folge ich jetzt zum Beispiel Tori Press aka @revelatori, einem Account, der Themen rund um mentale Gesundheit beleuchtet und Therapie durch süße, kleine Comics normalisiert. 

Sie erinnern mich stets daran, dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine bin und auch bei anderen nicht alles immer nur eitel Sonnenschein ist. 

Zwinge anderen kein Glück auf

Wenn es Menschen in deinem Umfeld schlecht geht, zwinge ihnen kein Glück auf. Statt zu sagen Ach komm, bei dir läuft es sonst doch total! oder den Dauerbrenner Andere Mütter haben auch schöne Söhne/Töchter! anzubringen, erkenne dein Gegenüber an, indem du mal etwas sagst wie: Hey, ja. Das ist echt scheiße. Nicht alles muss um jeden Preis immer gut geredet werden.

Erkenne die Gefühle deines Gegenübers an, mit allem, was da ist. Damit ist anderen viel mehr geholfen, als wenn sie das Gefühl haben, immer gut drauf sein zu müssen und mit ihren Emotionen ganz alleine zu sein. 

Jetzt habe ich tatsächlich noch was aus diesem Tag herausgeholt, nämlich diesen Artikel. Hiermit ziehe ich mir jetzt grummelnd die Bettdecke über den Kopf und lasse den Tag Tag sein.

Ich hoffe, du kannst dich in dem ein oder anderen Teil wiedererkennen. Du bist nicht allein! 

Viel Liebe und ein paar Mini Regenschirme,

Deine Sheila

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Titelbild © Elia Pellegrini via Unsplash

5 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Dass du glücklich bist eine weiße Hautfarbe zuhaben (klar ich verstehe was du meinst, deshalb privilegiert und im Leben eigentlich nichts zu meckern) würde ich lieber aus dem Text streichen.

    1. ich habe dazu einen sehr guten podcast von veith gehört. Darin wird man angeleitet sich diese „negativen“ Gefühle und vielleicht auch Situationen die einen reizen ganz bewusst anzuschauen intensiv hineinzuspüren…wahrzunehmen wo sie auf körperlicher Ebene stattfinden und ihnen erstmal ganz viel Raum zu geben….eine Art Meditation über die Negativität. Schau dir den debil grinsenden Buddha an und spür in dich hinein, was er bei dir triggert, gib dem Gefühl Farbe, Form und Raum und erlaube ihm da zu sein…irgendwann löst es sich auf, es hat Aufmerksamkeit bekommen und kann sich beruhigen.

  2. Toller Artikel!
    Vor allem bei IG fällt es einem schwer den Good vibes zu entgehen, wenn sie einmal im Feed gelandet sind. Dabei gehöre ich genauso dazu: immer das Positive sehen und bloß keine miese Laune haben. Was dazu geführt hat, dass die schlechte Laune, die sich trotzdem manchmal eingeschlichen hat, sich innerlich verfestigt hat. Ganz ungeniert und unbemerkt. Bis das Innen und das Außen dann irgendwann nicht mehr stimmig ist. Es ist, wie du es sagst: Diez Balance macht’s. Auch mal hinhören und für schlechte Laune genießen- morgen kann man ja dann wieder von einem Ohr zum anderen grinse.

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