Übernimm Verantwortung: Was Corona-Betroffene wirklich brauchen

“Ich bin positiv auf Corona getestet worden.” Diese Nachricht und einen verpassten Anruf meiner Freundin Isabella (Name geändert) finde ich auf meinem Handy, als ich gerade meine Samstagvormittag-Yogastunde beendet habe. Verdammt. Ich muss mich erstmal sortieren. Wir haben uns knapp vier Tage vor Ausbruch ihrer Corona-Symptome draußen zum Essen gesehen. 

Ich versuche, sie zu erreichen. “Lass uns doch lieber morgen telefonieren. Ist gerade alles ein bisschen viel für mich, sorry.” – Ich kann sie voll und ganz verstehen und versichere ihr, dass sie sich um mich erstmal keine Gedanken machen soll.

Nach den aktuellen Vorgaben des Gesundheitsamtes muss Isabella alle Menschen melden, die sie 48 Stunden vor Ausbruch gesehen hat.

Darunter falle ich nicht. Ich habe keine Symptome. Aber ich unterrichte regelmäßig Yoga, bin normalerweise viel unterwegs und sehe nächste Woche meine Eltern. Deshalb beschließe ich, trotzdem meine Yogastunden und Pläne abzusagen und am Montag einen Test zu machen. Ein Wochenende, das nicht läuft wie geplant, aber ich möchte sicher sein. 

Isabella hat bereits seit fünf Tagen eine heftige Erkältung, als sie zum Corona-Test geht – nur zur Sicherheit. 

Dass dieser positiv ausfällt, ist eine absolute Überraschung. Denn sie hat einfach klassische Erkältungssymptome, in ihrer Corona-App sieht sie keinen Alarm, sie kennt auch niemanden, der positiv ist. Sie gehört zu den Vorsichtigeren. Wahrscheinlich hat sie sich irgendwo im Supermarkt angesteckt oder in der U-Bahn. Sie meldet drei Personen als Kontaktpersonen ans Gesundheitsamt.

Sie wohnt allein, sitzt also nun krank alleine zuhause. Schon seit einer Woche und wahrscheinlich noch zwei weitere. Sie darf auf Anweisung des Gesundheitsamtes nicht mal ihren Müll runter bringen. Eine Liefer-App bringt ihr innerhalb von zehn Minuten genug Lebensmittel für die nächsten Tage, kontaktlos. Das völlig überlastete Gesundheitsamt versichert ihr, sich nun täglich telefonisch zu melden, um auf dem Laufenden zu bleiben und sich über ihren Krankheitsverlauf zu informieren – was nicht passieren wird. Sie fühlt sich komplett alleingelassen.

Ich versuche, telefonisch für sie da zu sein. Sie erzählt mir, dass sie Angst vor der Isolation hat und dass ein, zwei ihrer Kontakte scheinbar überhaupt nicht darüber nachdenken, wie es ihr geht, sondern sie nur ständig fragen, ob das Gesundheitsamt ihr neue Infos gegeben hat und wo sie sich testen lassen sollen. 

Dass sie das ärgert und verletzt, verstehe ich nur allzu gut.

Sie fühlt sich schon schuldig genug. Die Panik, andere angesteckt zu haben, ist das Schlimmste. Dass ihr nun ihre Bekannten nun teils auch noch die Verantwortung für deren Umgang mit der Information zuschieben wollen, ist ihr einfach zu viel. Ich denke mir im Stillen “let me google that for you” als sie mir erzählt, dass eine Person wissen wollte, ob sie nun ihre Geburtstagsparty absagen solle.

Durch Isabellas Ansteckung wird die ganze Corona-Krise noch viel realer für mich – wie das immer eben so ist, wenn plötzlich das eigene Umfeld betroffen ist.

Ich verstehe, wie wichtig es ist, für sich und andere in solchen Momenten Verantwortung zu übernehmen.

Das bedeutet, Entscheidungen zu treffen, statt sie auf andere abzuwälzen. Wenn ich nicht unter die Regelung des Gesundheitsamts falle, muss ich eben selbstständig überlegen und mich informieren, um zu entscheiden, was nun angebracht ist. Und damit muss vor allem ich selbst mich sicher fühlen. Isabella hat wirklich andere Sorgen, als mir zu sagen, was ich tun soll. 

>> Das Bundesgesundheitsministerium hat eine übersichtliche Seite mit allen wichtigen Infos und Handlungsempfehlungen. Beim Robert-Koch-Institut findest du aktuelle und ausführliche Informationen und FAQs zum Corona-Virus. 

Verantwortungsbewusstsein bedeutet: Keine Panik machen. Überlegt und informiert handeln.

Die Basis der aktuellen Bedingungen – kein Lockdown, aber gewisse Regeln und Empfehlungen – ist die Annahme, dass Menschen verantwortungsvoll mit der Situation umgehen. Ich muss mir im Klaren über mögliche Konsequenzen sein, wenn ich nun unter Leute gehe oder meine*n Partner*in oder meine Mitbewohner*innen weiterhin sehe.

In meinem Fall war die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein Ansteckungsherd bin, gering. Aber was ist mir wichtiger: Mein geplanter Kinobesuch oder die Gewissheit, nicht selbst am Anfang einer langen Infektionskette zu stehen? Sobald ich negativ getestet bin, habe ich immer noch Zeit, mich zu verabreden.

Jede Unternehmung ist ein Risiko. Natürlich auch der Gang ins Yogastudio.

Aber es ist ein kalkulierbares, solange sich alle an die Empfehlungen halten und zuhause bleiben, wenn sie Symptome haben oder Kontakt zu einer infizierten Person. Ist es lebensnotwendig, in ein Sportstudio zu gehen oder Freund*innen zu einem Spaziergang zu treffen? Nicht im engeren Sinn, aber sicher sind menschliche Interaktionen wichtig für die mentale Gesundheit. Daher bin ich auch absolut dafür, dass es diese Möglichkeiten weiterhin gibt.

>> Jeder Anbieter von Sport- oder anderen Veranstaltungen ist verpflichtet, einen Hygieneplan zu veröffentlichen, dem du alle Maßnahmen entnehmen kannst, die getroffen werden. Lies ihn dir vor einem Besuch durch und schau, ob du dich persönlich damit gut informiert und sicher fühlst. Wenn du an einen Ort kommst und nicht das Gefühl hast, die Regeln werden eingehalten, gehe lieber wieder. Und gib Feedback!

Einige Tage später ist klar: Isabella hat niemanden angesteckt.

Wie sehr sie aufatmet, kann ich sogar dem Ton ihrer Textnachricht entnehmen. Dass sie noch lange mit dem Trauma des Alleingelassenseins und mit einer gewissen körperlichen Schwäche kämpfen wird, ist trotzdem traurige Realität. 

Sie erzählt mir bei unserem ersten Treffen nach ihrer Krankheit, was sie eigentlich gebraucht hätte.

Ich hatte ihr Blumen geschickt, die leider nie ankamen, da sie falsch abgegeben wurden. Geschenke sind eine gute Idee, aber ich würde in Zukunft eher eines schicken, das nicht verderblich ist.

So kannst du jetzt wirklich für die Betroffenen da sein:

  • Falls ihr Kontakt hattet: Übernimm Verantwortung für deine eigene Gesundheit und dein Vorgehen, statt die Person zu fragen, was du tun sollst. Im Zweifel: Lass dich testen!
  • Frage regelmäßig nach, wie es der Person geht, und hör zu. Am Telefon, per Video Call – nimm dir Zeit
  • Braucht die Person Medikamente, um Symptome zu mildern, wie zum Beispiel Hals- oder Kopfschmerztabletten? Bring sie ihr vorbei und lege sie vor die Wohnungstür
  • Manchen Menschen fällt es schwer, andere um Hilfe zu bitten. Daher biete konkret etwas an, statt “Sag bescheid, wenn du was brauchst” zu sagen. Beispiel: “Ich könnte dir morgen Abend eine Suppe vor die Tür stellen!” oder “Ich kann für dich einkaufen gehen. Was möchtest du haben?”
  • Sobald die Person wieder raus darf und dich bittet, mit ihr Zeit zu verbringen: Nimm dir die Zeit, auch wenn du viel zu tun hast. Es gibt wenig, was Betroffenen mehr fehlt als menschliche Nähe und persönliche Interaktion. Mach sie möglich, sobald es geht. 

Nicht die Krankheit selbst, sondern die psychische Belastung ist es, die Isabella wirklich zu schaffen macht.

Man will dieses Virus einfach wirklich nicht kriegen und erst recht niemanden anstecken, deshalb bin ich wieder vorsichtiger geworden. 

Wenn ich doch mal Bekannte treffe, die sich anschicken, mich zu umarmen, sage ich nein, auch wenn es irgendwie komisch und unangenehm ist. Ich habe mich, wie viele andere sicher auch, schon in unsicheren Situationen wiedergefunden, die ich nicht vorhersehen konnte. Beispielsweise eine kürzliche Einladung zu einem Freund, bei dem dann plötzlich nicht fünf, sondern fünfzehn Menschen anwesend waren. 

Dass man aus Versehen und auch durch Peer Pressure in unsichere Situationen gerät, ist nicht überraschend.

Schnell stellt man das eigene Sicherheitsbedürfnis hintenan, weil man nicht unhöflich sein will. Ich habe bei dem Abendessen nichts gesagt und mich hinterher schlecht gefühlt. Jetzt frage ich immer vorher, wie eine Verabredung organisiert ist, wenn ich eingeladen werde. Denn natürlich ist es unangenehm, die eigenen Freund*innen zu ermahnen. 

Es wurde schon so oft gesagt, ich wiederhole es noch einmal:

Vorsichtig zu sein und sich an die Regeln zu halten, ist ein Akt der gesellschaftlichen Solidarität. 

Lasst uns jetzt durchhalten und nicht die Nerven verlieren. We can do it!

Titelbild: ©Ayşegül Altınel for United Nations via Unsplash

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