Scheitern als spirituelle Lektion: Wie wir an Misserfolgen wachsen

„Wann bist du das letzte Mal gescheitert?“

Diese Frage habe ich Kollegen*innen und Freunden*innen über die letzten Wochen immer wieder mal gestellt. Die meisten haben so etwas geantwortet wie „heute morgen, als ich meinen Kaffee verschüttet habe“ oder „auf dem Weg zur Arbeit, als ich einen anderen Fahrradfahrer geschnitten habe.“   

Das kam mir hart vor – wenn ich jemanden dabei beobachte, wie er seinen Bus verpasst oder ihm die Einkaufstüte reißt, denke ich nicht „was für ein Verlierer“. Mit mir selbst gehe ich allerdings viel härter ins Gericht und rede mir teilweise stundenlang ein, ich sei faul und nutzlos, nachdem ich aus Versehen zweimal mehr auf „Snooze“ gedrückt habe als sonst.

Weniger denken, mehr atmen.

Wie so oft verdeutlicht Yoga das Dilemma und transferiert die Kämpfe aus dem Alltag auf die Matte. Neulich zum Beispiel habe ich in Trikonasana die Balance verloren, einer Haltung, die ich eigentlich denke, sehr gut zu kennen. Wirklich? Beim Dreieck? Warum höre ich nicht einfach direkt auf – heute hat das ganz offenbar alles keinen Sinn.

Glücklicherweise wäre mir das vor meinem Lehrer unfassbar peinlich – und würde wahrscheinlich auch nicht einfach so durchgehen. Was ist also die Lösung? Zurück zum Atem, den Fokus wiederfinden, Ruhe bewahren und noch einmal probieren. Fast schon zu einfach.

Das kleine Missgeschick und das große Scheitern

Für diese Momente, in denen mal wieder etwas wirklich Ärgerliches passiert ist und du dir ein kleines bisschen blöd vorkommst, ist die Antwort: Abhaken, weitermachen. Konzentrieren, durchatmen, und den nächsten Schritt gehen.

Was ist aber mit den etwas größeren Problemen? Die Beförderung lässt seit Monaten auf sich warten, du findest einfach keine bezahlbare Wohnung, der Freundeskreis deines Partners / deiner Partnerin akzeptiert dich nicht?

Hier hat mich mein Manager, einer der erfolgreichsten Menschen, die ich kenne, sehr inspiriert:

„Ich bin erst dann gescheitert, wenn ich keinen Plan mehr davon habe, wie es weitergehen soll.“

Und auch hier musste ich wieder an den spirituellen Weg denken – der einfach in sich schon das Ziel ist. Es geht nicht darum, schnell anzukommen, sondern um die Bereitschaft, weiterzumachen. Yoga- und Meditationspraxis geben uns glücklicherweise immer eine klare Anleitung, wie es weitergehen soll.

Mir hilft es, Probleme aufzuschreiben und zu überlegen, mit welchem Plan es weitergehen kann. Wenn der nicht funktioniert, mache ich eben einen neuen. Und gescheitert bin ich erst dann, wenn ich aufhöre, es zu versuchen.

Und was, wenn ich aufgeben muss?

Nicht alles liegt in deiner Macht und manchmal macht es keinen Sinn, etwas weiter zu versuchen. Zum Beispiel habe ich in meiner letzten WG irgendwann erkennen müssen, dass wir niemals wirklich gute Vibes haben werden. Es ging einfach nicht.

Ich bin dann ausgezogen, und froh darum. Nicht jede Beziehung in unserem Leben kann gerettet werden, nicht jedem Menschen geholfen, nicht jede Gehaltsstufe erreicht werden. That’s life!

Choose your battles

Du hast absolut das Recht, dir deine Prioritäten zu setzen und manche Dinge einfach abzuhaken, ohne das Problem gelöst oder das Ziel erreicht zu haben. Dann bist du vielleicht gescheitert, aber weißt du, was super ist?

Dir wird eine ideale Chance geboten, Akzeptanz zu üben.

Akzeptanz und Gleichmut. Und wenn auch das nicht geht? Sehr gut, denn dann kommt direkt wieder der nächste Schritt: den Weg genießen, den Fokus nicht verlieren und es weiter versuchen. Scheitern ist wichtig auf unserem Wachstumsweg.

Das Gefühl, gescheitert zu sein, weist wie Absperrband auf innere Baustellen hin.

Es gibt Stimmen in meinem Kopf, die wollen, dass ich die erfolgreiche, schlanke, unwiderstehliche, emotional stabile, gut situierte, wohltätige, gutmütige und völlig erleuchtete Frau werde, die ich vielleicht in einer idealen Welt, oder in ein paar Leben, sein könnte.

Jede Erfahrung, die von diesem Ideal abrückt, ist unerwünscht und fühlt sich kurz wie Scheitern an. Dass ich zehnmal auf Snooze gedrückt habe stört mich ja nur, weil ich ganz tief in mir die Befürchtung habe, ein nutzloser Faulpelz zu sein, der nun wirklich keinen Erfolg verdient hat.

Scheitern tut weh, aber Leid hat seinen Sinn. Wir können es ignorieren, uns eine andere Geschichte erzählen und versuchen, es zu vermeiden. Letztendlich zeigen uns Momente des Scheiterns aber unsere dunklen Seiten, unsere Wunden, denen wir begegnen müssen, wenn wir als Menschen wachsen wollen. Jedes Scheitern ist eine Lernerfahrung.

Am Ende zählen nicht die Erfolge, sondern der Umgang mit den Misserfolgen.

Und sind wir denn wirklich gescheitert, wenn wir dabei lächeln konnten?

Titelbild © Abbie Bernet via Unsplash

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Ein Kommentar / Schreibe einen Kommentar

  1. Toller Artikel meine Liebe. Leider beschäftige ich mich manchmal auch viel zu lange mit kleinen Missgeschicken oder Situationen die mich aufgeregt haben. Aber ich gebe dir vollkommen Recht mit: Abhaken, weitermachen. Konzentrieren, durchatmen, und den nächsten Schritt gehen.
    Es ist zwar manchmal etwas leichter gesagt als getan, aber es bringt dich einfach nun mal weiter voran und es geht dir eindeutig besser.
    Liebe Grüße Maria

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