Überall findest du sie: kluge Yogasprüche, spirituelle Bücher und inspirierende Lehrer*innen. Was aber, wenn der Funke der Weisheit von der Yogaklasse nie so richtig in deinen Alltag überspringen will?
Von Yoga Off The Mat ist da immer wieder die Rede, denn die Matte ist ja eigentlich nur Ausgangspunkt, nicht das Ziel deiner Reise zum Innersten. Das Abenteuer Selbstfindung erfahren wir jenseits des Yogastudios, nämlich da wo das Leben tobt und unsere inneren Stürme wüten. Jenseits der Matte eben.
Der Weg zum Yoga führt nicht über reines Wissen, sondern über die Erfahrung im eigenen Leben.
Yoga kann ja so ziemlich alles sein: Philosophie, spirituelle Praxis und Lebenseinstellung. Egal was es für dich ist, das Ziel von Yoga ist immer das Gleiche: Einheit. Yoga soll dir helfen mit dem Leben klar zu kommen, indem du die geistigen Qualitäten des Yoga in dein tägliches Handeln und Denken integrierst.
Wenn du mit Yogapraxis wirklich was im Leben bewegen willst, dann kommst du um den Schritt von der Matte nicht herum.
Denn was nutzen die Entspannung im Yogastudio, wenn sie nach Savasana verpufft und die Gelassenheit im Sonnengruß, wenn du sie in stressigen Lebenssituationen nicht bewahren kannst?
Auf der Matte hast du quasi Laboratmosphäre unter optimalen Bedingungen.
Experimente sind aber dazu da, Ergebnisse für das wirkliche Leben zu sammeln. Dummerweise fühlt sich der Schritt von der Yogamatte häufig so an, als würde sich Ganesha höchstpersönlich um dein Bein klammern. Wie du ihn dennoch schaffst, erfährst du in den folgenden zwei Schritten.
Schritt 1, die Intention: Geistige Ruhe
Gemäß Patanjalis Yoga Sutra ist Yoga das Beruhigen der Geistesbewegungen. Nur wenn du mit dieser Intention auf die Yogamatte steigst, übst du also wahrhaftig. Nun gibt’s daneben zweifelsohne die geläufigeren, konkreteren Absichten, mit denen du tatsächlich praktizierst, wie z.B. Alltagsflucht, Optimierung des Körpers und Wellnessgedanken.
Können die als erster Motivationsfaktor dienen? Warum nicht. Wenn du weitergehen willst, richtest du dich dann aber zunehmend darauf aus, den Kopf mit seinen unzähligen zwanghaften Gedanken (Sanskrit: Vrittis) runterzufahren.
Wenn deine Gedankenwelt durch Yoga in den Stand-By Modus schaltet, dann kannst du sehen, was darunter liegt. Nach Patanjali begegnest du in dieser Stille und Tiefe deinem höheren Selbst, deinem wahren Kern.
Jetzt wird die Reise erst wirklich spannend. Nur führt sie ohne Umwege zurück in deinen Alltag.
„Um in die Fremde zu gehen, muss man eine Reise unternehmen.“
Yoga Vasishtha
Schritt 2, die Übersetzung ins Leben: Aus Ruhe entwickelt sich Kraft
Wenn dir die Gelassenheit auf der Yogamatte gut gelingt, dann steht der nächste Schritt an. Der Welt ist nämlich nicht geholfen, wenn du diese herausragende Qualität und dein wahres Ich exklusiv für dich behältst.
Warum ist das nur so verdammt kompliziert? Das Stück Matte unter deinen Füßen ist irgendwann so heimelig, dass es sich nahtlos in den Bereich deiner Komfortzone einschmiegt; und die zu verlassen war ja noch nie ein Zuckerschlecken.
Das Problem der „Impulsverschleppung“: Wenn der Funke kein Feuer entfacht
Prokrastination bezeichnet pathologisches Aufschiebeverhalten. Im Yogakontext mag es zwar seltener pathologisch auftreten, bedeutend ist es dennoch. Nicht wenige lassen die Theorie im Studio hinter sich zurück. Nicht-Reagieren, Loslassen und Vertrauen kannst du jedoch jeden Tag auch draußen aufs Neue üben. Und das sind nur ein paar der möglichen Themen.
Um Yoga in deinem eigenen Leben zu spüren, genügt es, ein Experiment mit dir selbst zu beginnen.
Such dir dafür nur ein Thema aus. Das könnte z.B. so aussehen: Deine Erfahrung hat dich gelehrt, dass Beziehungsgespräche selten angenehmer werden, wenn du so richtig in Rage bist und du all die Dinge sagst, die du gar nicht meinst. Du kannst also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit behaupten, dass dich jedes weitere Wort in diesem Zustand nicht an dein Ziel führt.
Wenn du das nächste Mal gleich austickst, wäre es also eine Überlegung wert, inne zu halten. Nicht um zu kapitulieren, sondern um dir selbst einen Gefallen zu tun. In dem Moment, wo du dem inneren Zwang des “Reagieren Müssens” tief in die Augen siehst, wird er augenblicklich zahmer und du wieder zurechnungsfähig.
Meist wird das dein Gemüt gnadenlos überfordern.
Impulsverschleppung ist – Überraschung – dem Ego geschuldet. Wenn du es bisher gut gefüttert hast, dann hast du dir unter Umständen einen starken Gegner gezüchtet. Dein Ego hat gar kein Interesse daran, dass du dir Selbst näher kommst. Jeder Schritt auf dich Selbst zu ist ein Schritt weg vom Ego.
Das Ablehnen und Ignorieren des Egos sind sein größter natürlicher Feind. Es erzählt dir deshalb aus Überlebensangst, du hättest noch nicht die richtige spirituelle Praxis, die richtige Idee für Lebensführung gefunden; es sagt: „Such noch weiter.“ Kurz gesagt: Du tanzt mit deinem Ego um den heißen Brei und liest noch ein Buch und besuchst noch ein Seminar.
„Wenn es ein Hindernis bei der Verwirklichung der Eigenbemühung gibt, sollte man untersuchen, ob eine auf Täuschung beruhende Tätigkeit vorliegt.“
Yoga Vasishtha
Durchschaue das Spiel des Egos
Wenn du das Spiel des Egos nicht durchschaust, wird der wirklich lebensbereichernde Teil des Yoga nur ein Mythos bleiben. Effektiver ist es hingegen, wenn du all die verteufelten Stolpersteine des Lebens endlich als Lernmöglichkeit siehst, sie in funktionale Aspekte deiner Yogapraxis umwandelst und an dir selbst wächst. Tag für Tag.
„Niemals sollte man der Faulheit nachgeben, sondern stets nach der Erlangung der Befreiung trachten, denn das Leben verebbt von Moment zu Moment. (…) In dieser Welt wird jedweder Gewinn durch nichts anderes als durch Eigenbemühung erworben. Wo der Misserfolg auftritt, dort hat es mit Sicherheit einen Mangel an Bemühung gegeben.“
Yoga Vasishtha
Es funktioniert genauso wie in der Physik.
Energie kann nicht vernichtet werden, sie kann lediglich ihre Form verändern.
Sprich: Input = Output, oder: So viel wie du in ein System rein steckst, bekommst du auch wieder raus.
Wenn du das Gefühl hast, deine Yoga Off The Mat Bemühungen zahlen sich nicht aus, dann steht die Ego-Bremse auf deinem Energiekanal. Zur Selbsteinschätzung ist es schon einmal förderlich, wenn du dir ehrlich die Frage stellst, was das spirituelle Ziel deiner Yoga Praxis überhaupt ist. Diese vier Kategorien von „spirituell Suchenden“ werden in der Bhagavad Gita unterschieden:
Vier Kategorien von „spirituell Suchenden“ – Zu welcher gehörst du?
- Die Weltverdrossenen: Menschen, die sich der Spiritualität zuwenden, um körperliche oder geistige Qualen zu mindern oder um aus Ängsten und Not erlöst zu werden.
- Die nach weltlichem Glück Strebenden: Menschen, die sich der Spiritualität zuwenden um Reichtum, Familie, Macht und Ansehen zu erlangen.
- Die nach spirituellem Wachstum Strebenden: Menschen, deren Beweggrund darin besteht, Erkenntnisse zu gewinnen und Erfahrungen zu machen, die für ihre Selbstfindung förderlich sind.
- Die Weisen: Menschen, die das wahre Selbst wirklich kennen, die wissen, dass nur die Einheit existiert, und deren einziger Antrieb auf das Vollkommene abzielt und auf sonst nichts.
Wenn du dich über die Zeit so langsam von 1. und 2. zu 3. bewegst, dann geht der Weg in eine gute Richtung und das mentale Üben wird leichter. Zu 4. gehören so Leute wie Gandhi und Buddha – gute Vorbilder!
Ich persönlich bin der Überzeugung, dass ein einziges ernst gemeintes Yogaexperiment in deinem Alltagsleben genügt und der ganze Rest von ganz alleine kommt. Es muss dir nur einmal gelingen, aus voller Überzeugung das offensichtlich Richtige zu tun.
Auf der anderen Seite wartet, sofern du deinem Anliegen mit Hingabe nachgehst, tatsächlich das grünere Gras. Und wenn deine Füße es einmal berührt haben, dann gehst du nie wieder zurück auf den Kunstrasen.
Alles Liebe und viel Erfolg beim Üben,
deine Nancy
Titelbild © Ulrike Reinhold
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Ein Kommentar / Schreibe einen Kommentar
Super schöner Artikel. Danke, wird gleich geteilt :)