Ich habe das Enneagramm für mich entdeckt. Es hat mich auf dem Weg der Selbsterkenntnis enorm weiter gebracht. Letztens erzählte ich einem Freund ganz euphorisch von diesem geometrischen Symbol antiken Ursprungs, das die Menschen in neun Persönlichkeitstypen einteilt. Und wir landeten in einer heftigen Debatte über alles Mögliche. Über Sinn und Unsinn von Kategorisierungen. Über Transformation. Über Yogastile. Und darüber was Erleuchtung ist. Und was sie nicht ist.
Kakao oder Ayahuasca – was führt schneller zur Erleuchtung?
Was ist besser? Yin oder Yang? Kakaozeremonien oder Ayahuasca-Retreats? Was führt uns schneller zur Erleuchtung: Bhakti oder Raja Yoga? Liest man nun besser die Bhagavad-Gita oder bringen einen die ‚Gespräche mit Gott’ am ehesten weiter? Und woran merkt man, ob man nun weiter oder tiefer gekommen oder vielleicht schon am Ziel ist?
Noch nie gab es so viele für jedermann verfügbare Informationen über Selbsterkenntnis, über Spiritualität. Noch nie gab es so viele verschiedene Blogs, Seminare und Workshops, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen.
Bewusstseinsarbeit goes Mainstream: Ein Segen. Und dann auch wieder ein Fluch.
Weil jetzt jeder eine Meinung hat. Und wir uns manchmal ganz verwirrt im Dschungel dessen, was es zu wissen und zu erfahren gibt, wiederfinden.
Ich erwische mich selbst auch immer wieder dabei: Ich habe eine bestimmte Erkenntnis gewonnen und möchte sie mit anderen teilen. Und manchmal möchte ich auch missionieren. Und vor allem möchte ich gesehen werden: Schaut mal, erkennt ihr, dass ich auf meinem Weg schon wirklich weit, schon wirklich tief gekommen bin? Manchmal ist es so, als bräuchte ich im Außen eine Bestätigung für meine innere Erkenntnis. Was natürlich absurd ist. Und dennoch menschlich.
Die Welt der Spiritualität: Eine Menge bunter Vorstellungen
Ähnlich wie die Liebe, ist die Spiritualität eine Welt, in der starke Emotionen bunte Vorstellungen auslösen. Es sind Vorstellungswelten, die ihren Wert in der unmittelbaren sinnlichen Erfahrung des Einzelnen haben. Und nicht in Vernunft und Wissen. Wir mögen immer wieder versucht sein, das Unfassbare mit gleitender Logik zu erfassen. Wir können uns immer mehr spirituelle Konzepte aneignen. Uns die Meinung der anderen anhören und vergleichen. Doch niemand kann die Arbeit, die ein bewusstes Leben erfordert, für uns machen.
Wir können Erkenntnis nicht durch die Erfahrungen anderer erlangen.
Wir können nur unsere eigenen machen. Der renommierte Meditationslehrer Jon Kabat-Zinn schreibt in seinem Buch ‚Im Alltag Ruhe finden’: „Unsere Familie und unsre Freunde mögen manchmal verzweifelt versuchen, zu uns durchzudringen, uns zu helfen klarer zu sehen und uns zu überzeugen. Doch aufwachen können wir letztlich nur durch unsere eigene Arbeit.“
Statt zu debattieren, sollten wir uns gegenseitig inspirieren.
Auf diesem Weg geht es nicht um richtig und falsch. Ein Weg, der zwar das eine Ziel der Erkenntnis und des Bewusstseins hat, sich jedoch für jeden von uns anders gestaltet.
Manchmal sind wir so von einem Konzept, einer Praxis überzeugt, dass wir andere missionieren möchten. Was uns so gut tut, ist doch sicherlich auch für sie das Richtige. Doch ganz ehrlich: Wir können nicht wissen, welcher Weg für jemand anderen der Passende ist. Das kann nur jeder selbst mit seinem Herzen, seiner Intuition wahrnehmen.
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort, da treffen wir uns“ Rumi
Ich habe das auch erst mit der Zeit gelernt: Egal ob Vipassana Meditation oder Kundalini Yoga – wenn mir etwas geholfen hat, mich etwas weiter gebracht hat, dann wollte ich aller Welt davon erzählen. Und sie am liebsten dazu bringen, es auch auszuprobieren.
Dabei ist es so wichtig zu verstehen, dass wir anderen Menschen Inspirationen anbieten können. Doch die Flamme muss sich in ihrem eigenen Herzen entfachen. Und tut sie es nicht, dann ist vielleicht ein anderer Weg, eine andere Erfahrung stimmiger für diesen Menschen.
Iyengar schreibt dazu in ‚Licht auf Yoga’: „Es gibt verschiedene Pfade (margas), auf denen ein Mensch zu seinem Schöpfer gelangt. Was zählt: Glücklich ist der Mensch, der durch sein Unterscheidungsvermögen und sein Wissen das Wirkliche vom Unwirklichen, das Ewige vom Vergänglichen, das Gute vom Angenehmen zu unterscheiden weiß.“
Spirituelle Reife zeigt sich in unserer Offenheit
Egal welchem Konzept und welcher Praxis wir gerade folgen: Spirituelle Reife zeigt sich darin, wie offen wir sein können. Hältst du vehement an deinen Überzeugungen fest und möchtest unbedingt Recht haben? Oder interessierst du dich offen und ehrlich für den Standpunkt deines Gegenübers? Bist du selbst so leer, dass du vollkommen empathisch zuhören kannst?
Wenn du merkst, dass du unbedingt Recht haben möchtest, dann frage dich: Wieso braucht dein Ego in diesem Moment die Bestätigung, dass deine Idee die richtige ist?
„You’ll know you have reaced a new leve of spiritual maturity, when your beliefs no longer require everyone else to hold them.“ John Pavlowitz
Und letztlich ist es doch so. Es gibt einen gemeinsamen Nenner aller spirituellen Strömungen und Konzepte, die es jemals auf diesem Planeten gab: Alle Erkenntnis, alles was du wissen musst, findest du in deinem Innern.
„Kabir sagt: Lass alle Gedanken über imaginäre Dinge los, und stehe fest in dem, was du bist.“
Kann es so einfach sein, fragen wir uns. Wir, die aus dem Land der Dichter und Denker kommen und stolz auf unseren Intellekt sind. Auf unseren kritischen Geist, der die Dinge analysiert, statt sie einfach nur anzunehmen. Statt einfach zur zu glauben. Dabei haben weise Yogis, Zen-Meister und buddhistische Mönche schon vor Jahrtausenden herausgefunden: Unser konzeptionelles Denken erlöst uns nicht von unserem Schmerz. Im Gegenteil. Es erschafft ihn.
Wir verlieren den Kontakt zu dem, was wir wirklich sind und kreieren mit unseren Gedanken eine Traumwelt, die eigentlich nichts mit der wahren Natur der Dinge zu tun hat. Unsere Gewohnheit zu denken und gegenwärtige Augenblicke zugunsten anderer, die noch kommen werden, zu ignorieren, hindert uns letztlich daran das Netz des Lebens, in das wir verwoben sind, wahrzunehmen.
„Eine Lampe an einem windstillen Ort flackert nicht. Mit ihr wird der Yogin verglichen, der sein Denken bezähmt hält und die Vereinigung mit dem höchsten Selbst übt.“ Bhagavad-Gita, Kapitel 6.
Weniger Konzepte. Und mehr Achtsamkeit.
Und was ist die Lösung? Weniger Konzepte. Und mehr Achtsamkeit. Auf den Atem. Auf die Empfindungen im Körper. Auf unsere Gefühle. Auf das Hier und Jetzt. „Indem du bei dir selbst bist… indem du dich in deinem Alltag mit wachem Interesse beobachtest, mit der Absicht zu verstehen, statt zu verurteilen, indem du alles, was auftauchen magst, vollständig akzeptierst, weil es da ist – indem du all dies tust, lockst du das, was sich in der Tiefe befindet, an die Oberfläche, so dass es mit seinen bisher entfesselten Energien dein Leben und dein Bewusstsein bereichern kann.“ Nisargdatta Maharaj
Das beste Konzept ist nur so gut, wie wir es im alltäglichen Leben in liebevoller Verbindung mit uns und unseren Mitmenschen sein können.
Und dann wirst du feststellen: Wer still ist, wer ganz bei sich ist, wer glücklich ist, der braucht niemanden von sich, einem Konzept oder einer vermeintlichen Wahrheit überzeugen.
Was meinst Du?
Alles Liebe
Daniela
Bilder: Grit Sowonia, Daniela Singhal
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3 Kommentare / Schreibe einen Kommentar
Liebe Daniela,
du bist so wundervoll!
https://www.youtube.com/watch?v=N2EuYrS1GqY
Danke!
Dein offener Umgang mit dem menschlichen Anteil deiner Reflexionen, eben den Prozessen des Egos, deiner Sehnsüchte und Wünsche, machen den Artikel sehr authentisch.
Danke.
Klasse Text!!! „Statt zu debattieren, sollten wir uns gegenseitig inspirieren.“
Und das letzte Foto ist der Hammer!
Danke Daniela!