Ein Jahr Yogalehrerin: Der Reality Check

In meinen Facebook-Erinnerungen ploppt ein Foto von einer Kuh im Ashram auf. Wie, ein Jahr ist es schon her, dass ich in Indien war, um meine Yoga-Ausbildung zu machen? Es fühlt sich an, als wäre ich erst gestern in den Flieger gestiegen. Und gleichzeitig wie eine Ewigkeit.

Vieles hat sich seither verändert in meinem Leben; und das ist definitiv nicht „von selber“ passiert, sondern war mit viel Arbeit und nervenaufreibenden Entscheidungen verbunden. Und während ich noch immer zu den Frischlingen unter den Yogalehrerinnen gehöre, bin ich dennoch schon um einige Erfahrungen reicher.

Der Traum von der Yogalehrerinnen-Karriere: realistisch?

Als ich mich im Sommer 2017 als freie Autorin und Yogalehrerin selbstständig gemacht habe, habe ich meine geplanten Einkünfte aus dem Unterrichten relativ nüchtern mit „gegen null“ beziffert.

Einerseits, weil Geld nicht wirklich meine Motivation war. Andererseits, weil ich weiß, dass ich mit anderen Tätigkeiten einen sehr viel besseren Stundensatz verdienen kann. Umso schöner ist es, wenn am Ende des Monats doch ein gutes Sümmchen dabei herumkommt.

Mein Ziel ist es gerade trotzdem nicht, Vollzeit-Yogalehrerin zu sein, da ich mit zwei bis vier Klassen pro Woche als Lehranfängerin noch gut beschäftigt bin und nicht will, dass die Unterrichtsvorbereitung in Stress ausartet.

Mein erstes Jahr als Yogalehrerin: Der Reality Check 2Erstes großes Learning: Nur, weil du eine Haltung ausführen kannst, kannst du sie noch lange nicht ordentlich anleiten.

Wie erklärt man einer 20-Personen-Gruppe die komplexe Arm- und Handhaltung im Frosch (Bhekasana)? – Die Hand auf den Fuß und dann so rum drehen reicht jedenfalls nicht, wie ich feststellen durfte.

Schnell habe ich verstanden, dass ich mich für den Anfang besser an die grundlegenden Bausteine halte, die ich in meiner Ausbildung erlernt habe und vielleicht eine einzelne kreativere Sache in meine Klasse einbaue, statt gleich so komplexe Sequenzen unterrichten zu wollen wie meine erfahrensten Lehrer*innen.

Mein Anspruch an mich selbst ist natürlich riesengroß und ich möchte nicht dröge sein.

Gute Klassen unterrichten kann man aber auch, wenn man nicht jedes Mal das Rad neu erfindet. Ich halte es für absolut sinnvoll, sich ans Unterrichten langsam heranzutasten und nicht gleich alles auf einmal zu wollen.

Das bedeutet aber nicht, dass ich mich nicht traue.

Unterrichten lernt man durch – unterrichten! Deshalb habe ich mich sofort nach meiner Rückkehr daran gemacht. Als erstes habe ich wöchentlich Freund*innen in meinem Wohnzimmer unterrichtet und mir einige Zeit später ein Herz gefasst und meinen Mentor Moritz direkt gefragt, ob ich bei Peace Yoga unterrichten darf. Er sagte ja.

Zuerst habe ich ab und zu andere Lehrer*innen vertreten.

Ein halbes Jahr nach meiner Ausbildung hatte ich dann zwei feste Klassen im Plan. Ich habe gelernt – und das gilt auch allgemein für meine Tätigkeit als Freelancerin – dass ich nicht vorwärts komme, wenn ich passiv bleibe.

Als mich ein befreundeter Lehrer fragte, ob ich bei einer Kunstaktion im Museum Hamburger Bahnhof unterrichten wolle, sagte ich ja, obwohl ich keine Ahnung hatte, worum es genau ging. Ich wurde dadurch Teil eines ganz besonderen Events (auf dem übrigens auch die Fotos entstanden, mit denen dieser Artikel bebildert ist).

Mich zu trauen, Dinge zu initiieren, mich nicht unter Wert zu verkaufen und die eigenen Stärken zeigen zu können, das war meine wichtigste und größte Lernerfahrung.

Natürlich mache ich Fehler.

Menschen in Yoga zu unterrichten ist eine große Verantwortung, derer man sich bewusst sein muss. Es kann gefährlich werden, wenn man diese auf die leichte Schulter nimmt. Aber um zu wachsen, braucht man dennoch Herausforderungen.

Ich versuche, diese Herausforderungen anzunehmen und tue immer mein Bestes.

Ich bereite mich bestmöglich vor und bitte befreundete Lehrerinnen um Hilfe und Feedback. Ich bewahre Ruhe, wenn die Musikanlage spinnt, mir die Sequenz entfällt, eine Person aus mir unbekannten Gründen die Klasse verlässt oder sich plötzlich ein Verflossener in meinen Kurs verirrt (alles schon passiert – und zwar in ein und derselben Stunde!).

Anfängerin – so what?

Mein erstes Jahr als Yogalehrerin: Der Reality CheckIch bin schon gerne gut in den Sachen, die ich mache. Und habe mehr als sechs Jahre Berufserfahrung inklusive Leitungsposition auf dem Buckel. Nochmal eine blutige Anfängerin zu sein, ist also ziemlich ungewohnt für mich.

Anfangs habe ich jeden Versprecher schmerzhaft bereut und über Fehler gejammert, die vielleicht sonst gar nicht aufgefallen wären. Bis mir klar wurde, dass es allen so geht und dass selbst erfahrene Lehrer*innen manchmal einen Blackout haben. Ich bin also weiter selbstkritisch und arbeite an mir, aber ich mache mich nicht für jeden kleinen Fehler fertig.

Meine Stunden sind nicht prall gefüllt.

Ich habe immer noch eine Links-Rechts-Schwäche beim Ansagen der Sequenzen und meine Stimme bricht manchmal beim Singen. Mit Yogaunterricht verdiene ich nur einen Bruchteil meines Lebensunterhaltes. Und trotzdem war meine Entscheidung, Yoga zu unterrichten, genau der berufliche Tritt in den Hintern, den ich gebraucht habe.

Ticket in die Freiheit

Ohne die Ausbildung wäre ich nicht so schnell darauf gekommen, mich mit zwei verschiedenen Standbeinen selbstständig zu machen. Das eine recht vertraut und sicher, das andere aufregend neu und inspirierend. Ich würde mich nicht so frei und selbstbestimmt fühlen, wie ich es gerade tue.

Nach einem Jahr unterrichten fühle ich mich noch lange nicht erfahren. 300 Stunden Ausbildung sind nur der Anfang. Bald beginne ich meine 500 Stunden Weiterbildung (das sogenannte Apprenticeship Program), um noch viel mehr zu lernen und eine bessere Lehrerin zu werden.

Nochmal Anfängerin zu sein, ist ungewohnt, manchmal sogar extrem verunsichernd. Und gleichzeitig unfassbar schön.

Ich genieße die Aufregung und freue mich wie ein Keks, wenn jemand mehrfach in meine Stunden kommt. Und jedes Mal, wenn ich eine Yogastunde beende und in die Gesichter der Schüler*innen schaue, erfüllt mich ein Gefühl von Glück und Stolz und Dankbarkeit. 

Welche Erfahrungen hast du mit dem „Nochmal-Anfänger-Sein“? Ich freue mich auf deine Kommentare!

Alles Liebe,

Uli

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Fotos © Lara Ohl

6 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Danke Ulrike für diesen Post! Ich selber unterrichte nicht, sondern bin ganz normale Yoga-Schülerin (Level 1-2). Ich finde es persönlich sehr schön auch mal in den Unterricht von jungen Lehrern zu gehen. Einen frischen Wind zu spüren…und finde es überhaupt nicht schlimm, wenn mal etwas durcheinander kommt. Dafür lernt man aber auf andere Art und Weise etwas dazu. Also mach weiter so :) und viel Erfolg für die Zukunft!!!

    LG Sabrina

  2. Danke Ulrike für diesen Einblick! Ich stehe selbst kurz vor meiner Prüfung und bin so gespannt, was ich dann in einem Jahr berichte :) Hab auch schon viele Jahre „Karriere“ hinter mir und ein Neustart tut mir dennoch sehr gut. Ich bin zwar wieder Anfängerin, aber dafür in etwas, dass in mir so richtig Leidenschaft weckt! Alles Liebe wünsch ich dir auf deinem Weg! Jennifer

  3. Hi Ulrike,

    Dein Text macht Mut. Sollte ich noch mehr schreiben?
    Irgendwie geben mir Deine Worte den Sinn den ich brauche mich selbst zu morivieren das Zertifikat zu bekommen und einfach dass tun was mir Spass macht, Menschen anleiten ihre Körper im physiologischen Kontext von Bewegung zu nutzen. Das ist ein Ziel. Yoga ist aus meiner Perspektive nicht vordergründig eine Geldquelle. Als Uridee von Yoga verstehe ich Selbstdisziplin, Lernen und meine Gedanken im Zaum zu halten. Patanjali schreibt so weit ich mich recht erinnere, Yogalehrerinnen sollten nicht zu viel und auch nicht zu wenig wollen und eigentlich dürfen sie für ihre Arbeit keinen Lohn erwarten. Aber unser Systhem funktioniert nicht so. Ich werde meinen Weg weiter gehen und Lösungen finden und danke Dir für Deine Worte.
    herzliche Grüsse Taschina

    1. Liebe Taschina, danke für deine Gedanken. Es freut mich, dass dir der Text Mut macht. Ja, leider müssen wir in unserem System ja irgendwie überleben, auch als Yogis… aber ich glaube, richtig gute Lehrer*innen sind nie primär wegen des Geldes dabei. Und das unterscheidet sie von Quacksalbern ;) Liebe Grüße!

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