Wird wirklich alles gut? Wenn das Urvertrauen ins Wanken gerät

Es ist fast sieben Jahre her, dass ich auf Bali bei einem Tätowierer saß und mir mein obligatorisches Yoga-Tattoo stechen ließ. Das Sanskrit-Wort Shraddha begleitet mich seitdem auf meinem linken Handgelenk durchs Leben.

Shraddha, das Urvertrauen. Das Vertrauen in die Praxis, ins Leben, ins Universum.

Der Glaube daran, dass für uns gesorgt ist, dass alles da ist und wir nicht so viel kämpfen müssen. So schön ich sowohl diese Vorstellung, als auch meine Tätowierung nach wie vor finde, so sehr muss ich auch sagen, dass mir der Glaube an dieses Konzept in den letzten Jahren immer mal wieder verloren gegangen ist.

Besonders dieses Jahr bringt mein Vertrauen ziemlich stark ins Wanken.

Denn wie kann es denn sein, dass alles genau richtig ist wie es ist, wenn das bedeutet, dass das eigene Leben ganz schön auseinanderfällt?

2020 ist für die meisten von uns eine ziemliche Zumutung. Aus unterschiedlichen Gründen, beim Großteil hat Corona seine Finger mit im Spiel. So kennt wahrscheinlich jede*r von uns mittlerweile jemanden, der*die echte finanzielle Probleme hat, weil die Selbständigkeit zum Erliegen gekommen ist oder das Geld von der Kurzarbeit einfach nicht reicht. Hinzu kommen bei vielen Sorgen um die eigene Gesundheit oder die nahestehender Personen, durchkreuzte Pläne und die große Frage, wie es weitergehen wird. Bei einigen hat diese Unsicherheit über die aktuelle Situation so weit geführt, dass sie angefangen haben, das ganze System in Frage zu stellen.

Bei mir persönlich kam dieses Jahr noch eine andere Sache dazu, die meinen Glauben daran, dass das Leben es gut mit uns meint, auf eine ziemliche Probe gestellt hat.Ich musste mir nach jahrelangen Versuchen, Verzweiflung, nicht wahrhaben wollen und immer wieder hoffen, dass wir doch eine andere Lösung finden, eingestehen, dass meine Hündin Maya nicht bei uns und unserer kleinen Tochter leben bleiben kann.

Das hier so schwarz auf weiß zu sehen, ist nicht leicht für mich. Doch das soll gar kein Text über meinen individuellen, konkreten Verlust sein. Ich bin durch dieses Ereignis einfach an einen Punkt gekommen, an dem ich gemerkt habe, dass mein Urvertrauen schwindet.

Ich finde, dabei ist es auch ein bisschen egal, um welche Erfahrung es geht. Natürlich gibt es Schicksalsschläge, die das Leben weitaus mehr ins Wanken bringen, als andere. Aber Gefühle sind nun mal individuell und nicht relativ. Am Ende geht es uns nun mal genau so, wie es uns geht, auch wenn wir abstrakt wissen, dass es noch viel schlimmer sein könnte.

Wie macht man weiter, wenn alles ganz anders läuft, als man sich das ausgemalt hat?

Und was hilft, wenn der Glaube an ein wohlwollendes, universelles Regulativ gerade ziemlich schwer fällt? Das habe ich mich immer wieder gefragt in diesem Jahr. Und damit bin ich bestimmt nicht alleine.

Ich muss sagen, dass ich keine wirkliche Antwort habe. Aber ich würde gerne mit dir teilen, wie ich in diesem Jahr versucht habe, immer wieder Hoffnung zu schöpfen.

So versuche ich, mein Urvertrauen, Shraddha, in diesen Tagen zu stärken:

1. Kein Wunder: Meine Yogapraxis

Eins vorweg: Es war nicht leicht für mich in diesem Jahr am Ball zu bleiben. Oft war ich zu erschöpft. Entweder körperlich, weil die Tage und Nächte mit Kleinkind herausfordernd sind. Oder auch mental, weil ich zu viel nachgedacht, abgewogen, geprüft und letztlich getrauert habe und dann eigentlich nur noch stupide Serien schauen oder bei Instagram scrollen wollte. Dass das natürlich nicht hilft wissen wir wahrscheinlich alle. Dass es dennoch oft leichter ist, als auf die Matte zu steigen, aber auch.

Aber, und auch das ist eine Erkenntnis, die nicht überraschen dürfte: Jedes Mal, wenn ich es dann gemacht habe, hat es etwas verändert. Manchmal nur die direkte Stimmung in diesem Moment. Oft aber auch nachhaltiger, so dass mein Kopf wieder freier und klarer wurde. Entweder, um mich bestimmten Themen nochmal neu widmen zu können oder auch, um einfach mal nicht zu denken und mehr im Moment zu sein.

Und ich habe es auch geschafft, über den körperlichen Zugang wieder mehr zur Meditation zu finden. So richtig erst in den letzten Wochen, aber ich merke, wie gut mir das tut. Zu sitzen mit all dem, was da ist. Das ist heilsam, auch wenn es nicht immer leicht ist.

>> Lesetipp: Sheila hat einen Artikel über den Zusammenhang von Yogapraxis und mentaler Gesundheit geschrieben und eine Yogasequenz entworfen, der die Psyche stärkt

2. Mich auf andere verlassen, statt alles alleine durchstehen zu wollen

Wichtige Erkenntnis dieses Jahr (und auch schon davor): Ich liebe meine Freund*innen. Und meinen Mann.

Dass bereits Anfang des Jahres jede*r von ihnen (you know who you are) ungefähr 272 Mal gehört hatte, dass ich a) so verzweifelt bin, b) nicht weiß, was ich machen soll, c) das Leben ein Arschloch ist oder d) es ja vielleicht doch noch eine ganz andere Lösung gibt, war bestimmt für niemanden von ihnen leicht.

Trotzdem haben sie es ausgehalten. Haben getröstet, Verständnis gezeigt, Lösungen gesucht, zugehört und auch einfach nur gesagt, dass es ihnen leid tut. Und mir damit unglaublich geholfen.

Das Fiese am schwindenden Urvertrauen ist nämlich, dass man sich auch plötzlich ganz schön alleine und einsam fühlt. Immer wieder vor Augen geführt zu bekommen, dass man es nicht ist, ist tröstlich und hilft dabei, Vertrauen Stück für Stück wieder aufzubauen.

3. Alle Gefühle anzunehmen und auszuhalten

No (more) spiritual bypassing. Das ist ein bisschen zu meinem Mantra geworden in den letzten Monaten. Natürlich ist es ein Leichtes, wenn man sich mit spirituellen Konzepten beschäftigt, diese auch als Erklärung und Lösung aller Probleme und Sorgen heranzuziehen.

Immer wieder habe ich mich gefragt, ob meine Verzweiflung über die aktuelle Situation nicht völlig fehl am Platz ist, weil ja schließlich “alles aus einem bestimmten Grund geschieht”. Diese Form des spiritual bypassing ist sehr beliebt. Es lässt sich so schön die Verantwortung für vergangenes Handeln aus der Hand geben und gleichzeitig bleibt auch nicht viel Spielraum für zukünftiges Handeln, das heißt weniger Eigenverantwortung, weil das Universum ja eben diesen Plan für mich hatte.

Auch, wenn ich an Karma und den Einfluss früherer Handlungen auf unser jetziges Leben glaube, glaube ich dennoch eigentlich nicht, dass wir dem hilflos ausgeliefert sind. Ich ertappe mich aber auch heute noch dabei, wie ich in diese Opferrolle falle und dadurch vermeide, mich negativen Emotionen wirklich zu stellen. Sie auszuhalten, durchzufühlen, damit zu sitzen. Aber ich mache es immer mehr.

Ich beobachte mich und meinen Schmerz, versuche ehrlich mit mir zu sein, Trigger wahrzunehmen und micht nicht als Opfer universell gezogener Fäden zu sehen. Sondern als Mensch, der wie jede*r einzelne von uns Schmerz, unangenehme Situationen und Sorgen im Leben aushalten muss. Diese Erkenntnis finde ich auch hilfreich im Hinblick auf die Frage nach dem Urvertrauen. Jede*r von uns verfügt über einen unterschiedlichen Grad an Resilienz: Manche sind schneller gebeutelt, andere wenige schnell, aber für uns alle gibt es die Möglichkeit, uns zu berappeln. Wir müssen nicht komplett den Glauben ans Gute und an eine sorgenfreie Zukunft verlieren, nur weil es uns in der aktuellen Situation wahnsinnig schwer fällt, daran zu glauben.

4. Draußen sein

Ich habe bewusst nicht geschrieben “in der Natur zu sein”. Denn auch wenn ich weiß, dass das die allerbeste Strategie wäre und mich eigentlich jedes Wochenende vor meinem inneren Auge auf dem gleichen Berg sehe, auf dem sich meine Münchner Insta-Bubble befindet, schaffe ich das nicht. Aus guten Gründen und aus Bequemlichkeit, aber faktisch befinde ich mich sehr viel mehr in der Stadt als im Münchner Umland.

Und dennoch macht es auch hier einen Riesen-Unterschied, ob ich vor die Tür gegangen bin oder nicht. Zum Glück zwingt das Leben mit Kleinkind genauso dazu, wie früher das Leben mit Hund. So verbringe ich eigentlich jeden Tag einige Zeit an der frischen Luft.

Und ich habe wirklich die Erfahrung gemacht, dass das extrem stimmungsverändernd ist. Selbst dann, wenn ich als größte Frostbeule der Nation nur bibbernd um den Block gelaufen bin, hat mir das geholfen, mich von meiner schlechten Laune nicht wegtragen zu lassen. Wäre ich auf dem Berg gewesen, würde ich vielleicht länger davon zehren, aber selbst die Stadtluft hilft mir jedes Mal. Ich fühl mich geerdeter, mehr bei mir und gleichzeitig so, als wäre mein Kopf ordentlich durchgepustet und für einen Moment frei von negativen Gedankenspiralen.

5. Den Blick auf das wenden, was alles da ist

Um mein Urvertrauen wieder aufzubauen, hilft es mir, dankbar für das zu sein, was da ist, ohne dabei zu leugnen, dass auch Schmerz und Sorgen da sind. Das war und ist nicht so leicht für mich in diesem Jahr, denn entweder fehlt mir der Zugang zu diesem Gefühl der Dankbarkeit oder ich schäme mich für meine negativen Gefühle, weil ich ja dankbar sein müsste.

Deswegen versuche ich das jeden Tag aufs Neue, wie eine klassische Übung. Dabei ist mir klar geworden, was für ein unglaubliches Glück wir hatten, dass es Personen in unserem Umfeld gab, bei denen unser Hund untergekommen ist und bei denen es ihr richtig gut geht. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich dankbar, trotz aller negativen Gefühle, die damit verbunden sind, dass ich unsere Hündin Maya weggeben musste.

Mir das vor Augen zu führen, ändert direkt meine Stimmung und meine Wahrnehmung aufs Leben. Dabei ist es besonders hilfreich, aufzuschreiben, was alles Positives im Leben da ist, sodass man das schwarz auf weiß vor Augen hat. Mir hilft das sehr.

Das sind meine fünf Punkte, die mir in diesem Jahr immer wieder geholfen haben, klarzukommen.

Ich bin mir sicher, dass sich das nicht zu 100 Prozent auf dich und deine Situation übertragen lässt, aber vielleicht ist ja etwas dabei, was dir als Anstoß dient. Schreib mir doch gerne, was dir in schwierigen Zeiten hilft, das Vertrauen ins Leben zu stärken.

Ich wünsche uns allen einen guten und sorgenfreien Ausklang dieses verrückten Jahres. Möge 2021 leichter werden. Oder, wie der spiritual bypasser zu sagen pflegt: This too shall pass!

Alles Liebe,

Sabine

Titelbild © Sammie Vasquez

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8 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Sabine,

    Dein Artikel ist wunderbar. Herzlichen Dank, dass Du Deine Gedanken und Gefühle mit uns teilst.

    Mir hat meine Yoga-Praxis auch geholfen und besonders, wenn ich mich ohne vorherige Sequenz-Planung auf das Üben eingelassen habe, sondern instinktiv so geübt habe wie ich gerade wollte. Dadurch blieb meine Yoga-Praxis für mich auch spannend, weil ich reltaiv zeitnah festtstellen konnte, ob sich das gut anfühlt oder nicht. Und dieses Neue zu erleben und zu entdecken ist mir gerade sehr wichtig, weil es so wenig Möglichkeiten gibt, etwas zu erleben, weil vieles, was mir Freude bereitet, geschlossen hat.
    Sehr gut hat mir übrigens getan erst mal Pranayama & Asana zu üben um erst danach in die Meditation zu gehen. So gelingt es mir aktuell am besten meine Gedanken ruhig werden zu lassen.

    Mein zweiter Anker im Corona-Sturm: Das Kochen. Ich probiere gerade sehr gerne neue Rezepte aus und finde dabei auch Rezepte, die ich sicherlich erneut kochen werde.

    Mein dritter Anker ist daheim putzen und ausmisten. Das sorgt bei mir auch für Klarheit und ich bin auch beschäftigt. Das ist überhaupt in meinen Augen ein wichtiger Punkt. Man muss sich beschäftigungen suchen. Dann fängt man nicht so schnell an sich Gedanken zu machen.

    Als vierter und wichtigster Punkt kommt naturlich Freunde & Familie.

    Liebe Sabine, ich wünsche Dir alles Liebe, Gesundheit und Frieden und vielleicht sieht man sich mal wieder, nach dem Lockdown, in der Wörthstraße oder wie neulich mal vor der Knödelküche in der Klenze.

    Lokah samastah sukhinu bhavantu

    Andreas

    1. Lieber Andreas, danke dir sehr für deinen Kommentar.

      Das klingt total prima, wie du dich durch diese Zeit navigierst. Kochen und Putzen mache ich auch mehr, ich glaube, das hat auch ein bisschen damit zu tun, dass man es sich in diesen Zeiten zumindest zuhause so nett wie möglich machen möchte.

      Und wie schön, dass du bei deiner Yoga-Praxis am Ball bleibst. Falls dir doch mal nach einer Stunde ist, in der du einfach das nachmachen darfst, was der Lehrer dir erzählt, dann komm sehr gerne mal zu meiner Online-Stunde Mittwochs um 09:15. Und ansonsten hoffentlich so bald wie mögich wieder in der Wörthastraße.

      Alles Liebe Dir,
      Sabine

      1. Hallo Sabine, danke für Deine Antwort.
        Das Angebot mit Deiner Mittwochsstunde nehme ich gerne an. Aber erst Ende Januar. Dann habe ich Urlaub und dann ist für mich auch die Yogapraxis auch an einem Mittwochvormittag möglich.

        Alles Liebe, Andreas

  2. Ich habe nicht richtig greifen können, warum es mir gerade nicht so toll geht. „Schwindendes Urvertrauen“ trifft es gut. Jetzt habe ich ein Wort dafür und damit ein abstraktes Konzept und irgendwie hilft das schon. Also danke :)

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