Sommer, Sonne, Selbstzweifel: Warum utopische Körperideale dich kalt lassen sollten

Endlich ist sie da, die Lieblingsjahreszeit der Deutschen. Doch sommerliche Temperaturen und ein strahlend blauer Himmel lösen nicht bei jedem*r automatisch Freudentaumel aus: Denn in den heißen Monaten herrscht gleichzeitig Hochsaison für harsche Selbstkritik, dem Konzept Bikinibody sei Dank.

Für mich gehörte der Sommer früher zur schlimmsten Zeit des Jahres.

Während es im Winter stets ein Leichtes war, die Unzufriedenheit mit meinem eigenen Körper hinter dicken Pullis und langen Hosen zu verbergen, sah ich mich im Sommer schonungslos mit meinem gestörten Selbstbild konfrontiert. Kaum kletterten die Temperaturen der 30 Grad Marke entgegen, stimmte sich mein Umfeld alle Jahre wieder freudig mit Bikinibody-Challenges auf die Badesaison ein.

Für mich der reinste Alptraum, denn ich war viele Sommer daran gescheitert, mein verzerrtes Idealbild des perfekten Beachbodys zu erreichen.

Nachdem Sportprogramme und Diäten nie den Erfolg erzielten, den ich mir erhofft hatte, ging ich zwangsläufig in den Rückzug und überlegte mir eine Ausrede nach der anderen, um mich gar nicht erst im Bikini zeigen zu müssen. Ich stürzte mich an den heißesten Tagen des Jahres in zahllose Überstunden als Kellnerin oder flog über den Sommer allein ans andere Ende der Welt. Mein einziges Ziel bestand darin, die heißen Monate möglichst unbeschadet, das hieß für mich vor allem ungesehen, zu überstehen, um im Herbst wieder in meine sackige Kleidung abtauchen zu können.

Mittlerweile habe ich es geschafft, mit der einst verhassten Jahreszeit meinen Frieden zu schließen. Trotzdem frage ich mich auch heute noch:

Wer hat den Schwachsinn mit dem Bikinikörper eigentlich erfunden?

Pünktlich zur Sommerzeit werden wir jedes Jahr aufs Neue mit Fünf-Punkte-Plänen zur Strandfigur geflutet, die uns in kürzester Zeit unserem vermeintlichen Traumkörper näher bringen sollen. Möchtegern-Expert*innen verraten uns ihre heißesten Tipps und versprechen uns den Sommer unseres Lebens, wenn wir es denn nun endlich schaffen, unseren aus der Form geratenen Körper in den Griff zu bekommen.

Ein gefundenes Fressen für Menschen, die ihren Körper ohnehin als Zielscheibe endloser Selbstkritik sehen.

In meinen Augen ist das Konzept des Bikinikörpers nichts anderes als Geldmacherei vom Feinsten. Die alljährliche Panik ist für die meisten schon fester Bestandteil des Sommers, was uns wunderbar anfällig für “Lösungen” jeglicher Art macht. Besessen von dem Wunsch nach unendlicher Freiheit und grenzenlosem Wohlgefühl im eigenen Körper, das wir zweifelsohne hinter der perfekten Strandfigur vermuten, nähren wir mit unserer Verzweiflung jene Industrien, wie beispielsweise Diätkonzerne, die uns die ganze Misere überhaupt erst eingebrockt haben.

Dass die gewünschten Resultate eigentlich so gut wie nie eintreten, scheint dabei keine Rolle zu spielen, denn wir verfallen dem Wahnsinn jeden Sommer aufs Neue.

Es gingen einige Sommer ins Land, bis ich verstand, dass weder die warme Jahreszeit an sich, noch mein Körper das Problem waren.

Im Grunde können wir nichts dafür, dass wir unserem Körper im Sommer mit besonders harscher Kritik begegnen. Auch im Jahr 2020 steckt die Inklusion noch in ihren Kinderschuhen fest und Verfechter*innen von #everybodyisasummerbody lassen sich leider oft nur auf ausgewählten Kanälen finden. Machen wir uns also nichts vor: Es bedarf wirklich einer bewussten Entscheidung, sich von den utopischen Idealen zu lösen und diesbezüglich einen ganz eigenen Weg zu gehen. Einen Weg, der definitiv von Geduld und viel innerer Arbeit geprägt sein wird, jedoch nicht lohnenswerter sein könnte.

Ich habe dir nachfolgend ein paar Tipps und Anregungen zusammengestellt, die mir in den letzten Jahren dabei geholfen haben, den utopischen Körperidealen nachhaltig den Rücken zu kehren.

Sechs Tipps, wie du deinem Körper im Sommer wohlwollend begegnest:

Shopping-Alarm: Kleide dich neu ein!

“Vergiss niemals, dass es nicht dein Körper ist, der sich an deine Kleidung anpassen muss. Vielmehr sollte sich deine Kleidung an deinen Körper anpassen!” – Franziska Krusche

Es klingt simpel, doch es war für mich damals der alles entscheidende Schritt: Ich kleidete mich radikal neu ein. Ich war es einfach leid, jeden Sommer heulend vor dem Spiegel zu stehen und mich in Klamotten aus den Vorjahren zu quetschen, die mir schlichtweg nicht mehr passten. Zu meinem Erstaunen machte die passende Kleidung, in der ich mich nicht nur angezogen, sondern auch attraktiv fühle, wirklich einen riesigen Unterschied aus.

Überdenke also deine Garderobe! Spende oder verkaufe, was dir nicht mehr passt und kleide dich neu ein. Wenn du nicht gleich Unmengen an Geld ausgeben möchtest, dann schau dich mal in Second-Hand Läden um oder schlag deinen Freunden*innen eine Kleidertauschparty vor.

Distanziere dich von dem Druck, dauerhaft gut gelaunt zu sein

Auch wenn die gute Laune und Lebensfreude vieler Mitmenschen im Sommer oft vermuten lässt, dass es in der heißen Jahreszeit keine trüben Gedanken gibt: Natürlich gibt es die! Höhen und vor allem Tiefen kennen schlichtweg keine Jahreszeiten. Der Sommer hat zwar durch die vermehrte Sonneneinstrahlung nachweislich einen Gute-Laune-Effekt, doch es gibt nichts Unnatürlicheres, als non-stop zwanghaft gut drauf zu sein. Schon gar nicht, wenn man es vom Gefühl her eben einfach nicht ist.

Sommer-Euphorie: Loslassen statt zu viel auf einmal wollen

Während die kälteren Monate eher für Rückzug und Ruhe stehen, überkommt uns im Sommer gerne der Tatendrang, unser Leben umzukrempeln und am liebsten alle vermeintlichen Probleme auf einmal anzugehen: Die überschüssigen Kilos sollen weg, am besten machen wir von nun an regelmäßig Sport, schlafen ausreichend und ernähren uns ausschließlich von gesundem Essen.

So toll es sich in der Vorstellung anfühlen mag: Nur, weil die Sonne scheint, heißt das nicht, dass sich alle Probleme im Handumdrehen in den Griff bekommen lassen. Investiere die Kraft deines sommerlichen Energieschubs clever in realistische Ziele, die sich gut umsetzen lassen, um unnötigen Erwartungsdruck und vor allem Überforderung zu vermeiden.

Sommer für Hochsensible: Den Rollladen einfach mal unten lassen

Wusstest du, dass zu viel Sonne einen negativen Einfluss auf dein Wohlbefinden haben kann? Ich bin aufgrund meiner Hochsensibilität sehr lichtempfindlich, was bereits in meiner Kindheit dazu führte, dass ich meinen Rollladen tagsüber nie ganz hoch machte. Ich fühle mich einfach nicht wohl, wenn es zu hell ist, was unter anderem auch dazu führt, dass mein Körpergefühl in den Keller sinkt.

Auch wenn es gewiss viele Menschen gibt, die von der Sonne nicht genug bekommen können: Es ist okay, die pralle Sonne im Sommer nicht toll zu finden. Übrigens mag ich aus diesem Grund auch keine Strandurlaube, weil es für mich nichts Unangenehmeres gibt, als den ganzen Tag so viel Sonnenlicht ausgesetzt zu sein. Lass dich also nicht verunsichern, wenn Freund*innen dich komisch von der Seite ansehen, wenn du im Schatten liegen willst.

Melatoninhaushalt positiv beeinflussen

Fällt es dir im Sommer besonders schwer, in den Schlaf zu finden, weil es einfach noch zu hell draußen ist? Kein Wunder, denn unter Umständen ist dein Melatoninhaushalt aufgrund der kurzen Dunkelphasen aus dem Gleichgewicht geraten. Der Tag-Nacht-Rhythmus jedes Menschen wird von dem Schlafhormon Melatonin geregelt. Das ist ein körpereigener Stoff, der ausschließlich bei Dunkelheit gebildet wird. Sobald es hell wird, stellt der Körper die Produktion ein und signalisiert dem Körper dadurch, dass es Zeit ist, wach zu werden und aufzustehen.

In den Sommermonaten ist dieser natürliche Rhythmus durch die langen Tage und somit kurzen Dunkelphasen jedoch stark beeinflusst, was sich ungünstig auf den Erholungsfaktor deines Schlafes auswirken kann. Da für die meisten Menschen ein enger Zusammenhang zwischen schlechtem Schlaf und mangelndem Körpergefühl besteht, lohnt es sich, hier mal hinzuschauen und gegebenenfalls deine Räume noch besser abzudunkeln, um deinen Schlaf erholsamer zu gestalten.

Reflektiere, wofür deine Sommerbody-Panik wirklich steht

Wenn wir ehrlich sind, dann ist der Sommer nicht das Problem. Problematisch ist unsere von Unzufriedenheit gezeichnete Beziehung zu unserem Körper, die wir unabhängig von den Jahreszeiten ja rund um die Uhr führen. Die heißen Monate bringen nur zum Vorschein, was wir ansonsten mit Kleidung versuchen zu kaschieren. Reflektiere dieses Jahr mal ganz bewusst, wie du es schaffen kannst, das Problem nachhaltiger anzugehen. Das ultimative Ziel sollte nämlich nicht darin bestehen, diesen Sommer lediglich mit möglichst schnellen Lösungen zu überstehen, um dann im Herbst wieder in alte Verhaltensweisen zu verfallen.

“Der Sommerbody fängt im Winter an”

In Fitnesskreisen verbirgt sich hinter dem Klassiker die Aussage, dass man im Winter bereits anfangen sollte, für seinen Bikinibody zu trainieren. Man kann diesen Spruch aber auch anders interpretieren: Nämlich so, dass dein Wohlgefühl im Sommer davon abhängt, wie liebevoll du deine Beziehung zu deinem Körper in den restlichen Monaten gestaltest.

Klar, die tiefsitzende Überzeugung, dass unser Körper so, wie er ist, nicht gut genug ist, lässt man nicht mal eben von heute auf morgen los. Dahinter versteckt sich ein individueller Prozess, der durchaus einige Sommer dauern kann. Am wichtigsten ist es, zu verstehen, dass nicht dein Körper, sondern deine momentane Beziehung zu ihm das Problem ist.

Fokussiere dich also darauf, deinem Körper liebevolle Signale zu schicken, statt ihm permanent mit Selbstkritik zu begegnen. Dazu gehört unter anderem auch, deinen Social Media Konsum und deine Sehgewohnheiten zu überdenken: Folge beispielsweise Accounts wie denen von Melodie Michelberger oder auch Charlotte Kuhrt, die dir helfen, auf deinem neuen, von Selbstliebe und Akzeptanz geprägtem Weg voranzuschreiten.

Am Ball bleiben zahlt sich hier definitiv aus und vielleicht fällt es dir nächsten Sommer von vornherein schon ein kleines bisschen leichter, deinen Körper so zu akzeptieren, wie er ist.

Gehört der Sommer für dich zur schönsten oder eher zur gefürchtetsten Zeit des Jahres?

Mich interessiert wirklich brennend, ob dich Ideale wie der klischeehafte Bikinikörper kalt lassen oder ob du pünktlich zur Badesaison versuchst deinen Körper zu optimieren. Teile deine Erfahrungen gerne mit uns in den Kommentaren. Vielleicht hast du ja sogar ein paar Tipps parat, wie man liebevoller mit dem Thema umgehen kann, die du uns mit auf den Weg geben kannst.

Disclaimer: Selbstkritik und Selbstzweifel am eigenen Körper zu haben, ist uns allen bekannt – aber etwas anderes ist es, wegen der tiefsitzenden, gesellschaftlichen Fettfeindlichkeit diskriminiert zu werden. Franziska und das ganze FLGH Team genießen thin privilege, das heißt, wir sind nicht von fatphobia betroffen und finden es wichtig, hier einen Unterschied zu benennen. Die eigenen Selbstzweifel zu überwinden, heißt auch, sich mit (der eigenen internalisierten) Fettfeindlichkeit auseinanderzusetzen. Hierzu legen wir dir diesen IG-Post von @minoandtheirchaos und dieses Podcast-Interview von Rebecca mit Melodie Michelberger ans Herz.

Alles Liebe

Franzi

Titebild © Franziska Krusche

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8 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Darf ich mal was radikales vorschlagen? FKK!
    Auch ich gehöre natürlich zu den Opfern dieser riesigen Schönheits- und Optimierungsmaschinerie. Sich dessen Einfluß zu entziehen ist ja schier unmöglich.
    Vor ca. 3 Jahren habe ich mit FKK begonnen. Hat mich auch ein wenig Überwindung gekostet, aber ich habe schnell gemerkt, wie tolerant Nudisten sind.
    Mittlerweile fühle ich mich in Bademode viel unwohler als nackt. Ich habe das Gefühl, ein Bikini etc. bringt meine „Problemzonen“ (ja ja, ich arbeite noch dran diese Zonen zu lieben!) nur noch mehr in den Vordergrund.
    Fazit: einfach mal nackig machen und die viel-faltigkeit des Menschlichen Körpers entdecken!
    Sonigge Grüße ??‍♀️???

  2. Mon, liebe Franzi –

    danke, danke! Ich habe just selber über mich im Sommer gebloggt, denn neben dem eigentlichen Körperbau (Hallo, Alter!) schlage ich mich noch mit Hautkrankheiten rum. Und das ist wahrlich kein Spaß, im Sommer, einfach so in die Sonne gehalten. Blicke sind dir garantiert und eben nicht nur freundliche. https://www.junieundich.de/2020/07/19/psoriasis-couperose-dermatitis-wie-mir-body-positivity-trotzdem-gelingt/

    Und davon ab: ich bin schon seit einem jahr nicht mehr auf Social Media und das befreit enorm! <3

  3. Wow, wieder einmal trifft dein Text genau den wunden Punkt, der mich momentan beschäftigt… Man vergleicht sich einfach zu oft mit dem Besseren, auch wenn es nur unterbewusst passiert, prägt sich das ein. Ich habe mir fest vorgenommen dieses Jahr bewusster darauf zu achten mit wem ich mich vergleiche bzw vielleicht auch gar nicht zu vergleichen. Leicht wird es auf jeden Fall nicht. Der Tipp, dass man sich neu einkleiden könnte finde ich auch sehr passend. Ich habe dieses Jahr endlich Mal eingesehen, dass ich mich nicht in Jeansshorts quetschen muss, in denen ich mich dann sowieso unwohl fühle und auf Kleiderkreisel ein paar tolle neue Hosen und Röcke für den Sommer gefunden, die – wie ich finde – viel besser zu mir und meinem Körper passen und siehe da, ich fühle mich sogar in kurzen Hosen wohl, wenn sie nicht so eng sind. Wirklich ein sehr schöner Text!
    Liebe Grüße
    Sarah ?

    1. Hallo liebe Sarah,

      vielen Dank fürs Vorbeischauen!! :)

      Ist es nicht erstaunlich, was für einen gravierenden Unterschied die passende Kleidung macht? An sich ist es kein Hexenwerk und ja irgendwie auch logisch, sich „passend“ einzukleiden und dennoch brauchte ich wirklich einige Sommer, bis ich diesen Schritt gegangen bin.

      Von Herzen
      Franzi

  4. Danke für diesen Artikel, du sprichst mir damit aus der Seele!
    Ich arbeite noch dran, an dieser Selbstakzeptanz – aber hey, immerhin bin ich schon ein Stück weiter.

    Das Perfide ist ja: selbst wenn man eine vermeintliche Baustelle an das allgemein vorherrschende Schönheitsideal angepasst hat, wird einem in nullkommanix eine ganz andere auffallen. Ist es nicht das Gewicht, ist es vielleicht die unreine Haut oder Cellulite oder schiefe Zehen oder weiß der Geier was. Der Körper an sich ist ja halt gar nicht das Problem… der ist so, wie die Natur ihn geschaffen hat, schon ganz gut geraten und evolutionär erprobt. :)

    Und es ist halt auch ein Teufelskreis: eben gerade weil so viele von uns mit diesem oder jenem an ihrem Körper unzufrieden sind und ihn daher am liebsten verschämt in Kleidung packen, statt sich einfach in den Bikini zu werfen, sieht man oft halt auch nur „perfekte Schönheiten“ in Bikinis. Was schnell zu dem Trugschluss führt, dass man „alle anderen“ für anscheinend makellos und hübsch hält und nur sich selbst nicht… was definitiv anders wäre, wenn man mehr „normale“ Körper sehen würde.

    Liebe Grüße

    1. Liebe Anne,

      vielen Dank für deinen Kommentar! Jeder Schritt zählt :) Mir hat es wirklich geholfen für mehr Diversität in meinen Social Media Feeds zu sorgen. Es ist wirklich unglaublich, wie sehr man unterschätzt, was so eine gefilterte Realität mit einem macht. Zumindest geht es mir so!

      Grüße von Herzen
      Franzi

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