Herbst. So nutzt du die Kraft der Umkehrzeiten

Umkehrphasen sind Abschnitte, die plötzliche, intensive Veränderung mit sich bringen. Das können persönliche Ereignisse in deinem Leben sein, aber auch zyklisch bedingter Wechsel. Auf Wandel reagieren wir Menschen meist instinktiv: erstmal mit Skepsis, oft auch mit Verunsicherung und Angst.

Insbesondere die Spanne von Sommer zu Herbst gilt als eine mächtige Umkehrphase, die uns manchmal ganz schön durchschüttelt. In vielen verschiedenen Traditionen und Religionen wird daher von allen Jahreszeiten dem beginnenden Herbst ganz besonders transformative Kraft zugeschrieben.

Warum das so ist?
Was hat das alles mit zyklischem Leben zu tun?
Und was passiert, wenn wir dem Herbst zuhören, mit dem, was er uns eigentlich sagen will?

Das Universum basiert auf Zyklen

In 364 Tagen umkreisen wir einmal die Sonne. Das sind 364 Tage, um von einem Frühling zum nächsten zu gelangen. Die Erde kreiert mit ihrer Umkreisung also aktiv einen Zyklus, durch ihren Weg um die Sonne. Und die Erde unterliegt passiv dem Mond-Zyklus, der durch die Umkreisung des Mondes entsteht.

Wir, die wir auf dieser Erde leben, sind demnach zyklische Wesen.

Unsere Lebensspanne ist unser individueller Zyklus, der durch die Zyklen von Sonne, Mond, also Jahreszeiten, Tag Nacht und auch von Hormonen geformt und strukturiert wird.

Die Ayurveda als zyklisches System

Ein Heilsystem, welche um die Besonderheit der Einflüsse zyklischen Lebens weiß, ist die Ayurveda. Die Ayurveda orientiert sich ganz stark an den wechselnden Jahreszeiten, den Mondphasen und den verschiedenen Lebensphasen. Also ganz klar an dem Faktor „Zeit“. Und mit Zeit ist nicht der Stressor: „davon habe ich zu wenig“ gemeint.

In der Zeit spiegelt sich alle Basis für Wachsen, Leben und Veränderung. Zeit orientiert sich nach der Sonne und nach dem Mond. Zeit ist Bewegung. Zeit ist immer in Bewegung. So, wie das Universum, die Jahreszeiten und die Elemente in und um uns herum. Wir alle sind im ewigen Ozean der Veränderung begriffen.

In der Ayurveda werden vor allem den Jahreszeitenübergängen besondere Bedeutung zugemessen, denn zwischen diesen Phasen erwarten uns wechselnde Eigenschaften, Unruhe und Gefühlsextreme. Wir werden körperlich und emotional besonders sensibel und anfälliger für Krankheiten. Je mehr wir diese Prozesse verstehen und als Chance annehmen, um so direkter und stärker können wir sie für uns nutzen.

Die Kraft der Umbruchzeiten

Der Übergang von Frühling zu Sommer und von Herbst zu Winter werden oft als fließend empfunden. Als besonders fulminant wirken der Wechsel von Winter zu Frühling und von Sommer zu Herbst.

Im Frühlingsanfang lösen wir uns aus dem Kapha, der dunklen, umhüllenden Erde hinaus, um neu geboren zu werden. Dies ist der Moment, wenn wir mit sprudelnden Ideen den nächsten Tag kaum erwarten können und gefühlt explodieren wollen, vor Lebensfreude und Tatendrang. Dieser Wechsel ist meist mit viel Freude und Leichtigkeit verbunden. Daher sind wir diesem Moment von Neubeginn meist sehr zugewandt.

herbst-umkehrzeiten

Herbst hingegen tut immer etwas weh, denn er steht für Sommerende und den nahenden, dunklen Winter. Er symbolisiert Vergänglichkeit. Genauer betrachtet spiegelt er unser aller Lebensende. Andererseits holt der Herbst auch Dunkelheit aus uns heraus. In uns melden sich jetzt Gefühle, die unbequem sind, und sich erstmal wie ein Störfaktor im leistungsorientierten Alltag anfühlen.

Was ist mit positive thinking?

Klar, möchte man meinen, positives Denken hilft gegen Herbst-Melancholie. Doch ich sehe das mit dem positiven Denken inzwischen etwas anders.

Forget about positive thinking! When you are in the middle of your PMS just sit back, watch and accept

hat eine Lehrerin vor einiger Zeit zu mir gesagt. Damit will sie gar nicht positiven Gedanken ihre Wirksamkeit absprechen. Vielmehr meinte sie, statt einfach wegzuwischen, kann Akzeptanz einfach mehr: halten, aushalten und von normativen Gedanken befreien, wie man zu sein hat. Okay sein.

Zyklisches Leben bedeutet, sich dem glücklichen, wie dem weniger glücklichen Leben gleichsam zuzuwenden.

Es ist wichtig, auch seine ätzenden Emotionen aushalten zu können, bei ihnen zu bleiben. Der Herbst ist, mit all seiner Symbolik, ein zentraler, gleichberechtigter Bestandteil unseres Lebens, unseres zyklischen Selbst.

Im Grunde genommen ist der Wechsel zwischen äußerem, beflügelten und innerem, zurückgezogenen Leben für unseren Körper und Geist total wichtig, um aufzutanken und zu regenerieren. Das emotionale Wanken folgt also einer Struktur.

Der hormonelle Zyklus als Spiegel der Jahreszeiten

Unser Runterkommen nach dem Sommer entspricht dem Hormonabfall von uns Frauen nach der Ovulation. Ist das Ei nicht befruchtet worden, folgt ein rapider Hormonabfall in unseren Körpern. Die Nervosität, auch Haltlosigkeit, die irgendwann in einem Gefühl von Melancholie und Traurigkeit mündet sind alles Gefühle, die uns vor der Regelblutung und auch zu dieser Jahreszeit heimsuchen.

Der Herbsteinbruch ist im Grunde genommen, wie ein PMS im Buffer-Modus. Erstmal ganz schön extrem.

Was sich im Herbstbeginn manchmal wie schmerzhaftes Absterben anfühlt, ist Spiegel der zyklischen Prozesse in und um uns herum. Je mehr wir Zeuge dieser Veränderung werden, und die manchmal beklemmenden Gefühle als Teil unserer selbst anerkennen, um so stärker treten wir in Verbindung mit dem, was da ist, mit uns selbst!

Zeuge deiner eigenen Prozesse zu sein, bringt die Chance, Körper und Geist mit auf die Reise zum Einklang zu nehmen. Mit allem, was dazu gehört, mit Angstschweiß und Tränen und der wahren Kunst des Sterbens: dem Loslassen.

Zeuge zu sein, öffnet dein Herz für das, was ist.

Deine Julia

Photo Credit: Infomastern Flickr via Compfight cc, Titel: Julia Wunderlich

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7 Kommentare / Schreibe einen Kommentar

  1. Hallo!
    Danke für den schönen Artikel. Mich würde nur – ernsthafte Frage – interessieren, warum wir uns in 364 Tagen einmal um die Sonne drehen – ich dachte immer, es wären 365 oder 366 Tage (Schaltjahr) – steckt das was tiefergehendes dahinter?
    Außerdem habe ich lange Zeit Sanskrit gelernt und frage mich, warum „die Ayurveda“ weiblich ist, es heißt eigentlich „der Ayurveda“. Aber Du hast vielleicht Deine Gründe dafür, daher frage ich. :-)
    Viele Grüße!
    Lina

    1. Hallo Liebe Lina,
      vielen Dank für deine Fragen.
      Soweit ich weiß, heisst es der Yoga und die Ayurveda. Obwohl wir der Veda, bzw. die Veden sagen, bedeutet Ayurveda: die Lehre vom Leben. Ich kenne viele Fachbücher, in denen es die Ayurveda heißt. Daher also die Ayurveda.

      Und wegen der 365, da muss wohl zahlenmäßig bei mir und in der Korrektur etwas durcheinander gelaufen sein. Herbstwinde im Kopf :)

      Alles Liebe, Julia

  2. „Zyklisches Leben bedeutet, sich dem glücklichen, wie dem weniger glücklichen Leben gleichsam zuzuwenden.“

    Was für wunderschöne Worte liebe Julia, in denen so viel Wahrheit steckt. Worte, die mich daran erinnern, dass das Leben aus zwei Polen besteht: Sommer – Winter. Frühling – Herbst. Geburt – Tod. Anfang – Ende. Feuer – Wasser. Schwarz – Weiß. Yin – Yang. Ohne das eine kann das andere nicht bestehen. Sie gehören zusammen. Alles das gehört zu uns. Unserem Leben. In jedem von uns stecken zwei Pole. Sie sind beide ein Teil von uns. Und warum sollen wir etwas, das zu uns gehört verleugnen oder bekämpfen?

    Ich bin auf jeden Fall schon gespannt, welche neue Entdeckungen der Herbst für mich in diesem Jahr bereit hält :-)

  3. Liebe Julia,

    deine Zeilen erheben mich gerade, wie ich merke – im Sinne von: Sie machen mich friedlicher und lassen mich diese Zeit, die einen tatsächlich ziemlich durchschütteln kann, gelassener annehmen. Sicher braucht unser Körper-Geist-Seele-System diese Zeiten der Einkehr, des „Mal-so-Lassens“. Der Wald bekommt mir momentan besonders gut, also nix wie raus…

    Eine wohlige Wochenmitte wünscht dir & den Lesern dieser Seite,

    Carolin

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