Mittlerweile sehen wir auf den Fotos zusammen freundlich aus. Entspannter wird es wohl nicht, aber routiniert. Familienfotos waren noch nie meine Stärke.
Ein professionelles Fotoshooting, um mit der eigenen Mutter für ein Yogaretreat zu werben, ist eine Herausforderung auf Endgegner-Niveau.
Entweder grinst eine verklemmt in die Kamera oder wir wirken distanziert. So oder so bewegen sich die meisten Aufnahmen weit weg von den Instagram-tauglichen I love my mom Fotos, die man zu Muttertag immer rotieren sieht. Alle Beteiligten sind da zufällig gerade erwischt worden, wie sie sich in die Arme fallen oder im Gespräch vertieft sind. So sieht man uns schon öfters, nur nie mit Selbstauslöser im Anschlag.
Tatsächlich sind diese wenigen Momente, in denen wir uns zusammen zeigen, aber auch ein Beweis für uns selbst. Denn von allen Menschen, die wir mittlerweile gemeinsam unterrichtet haben, sind wir beiden vermutlich die Ungläubigsten, wenn es um unsere professionelle Zusammenarbeit geht. Dass wir beide über die Familienstruktur hinaus mal derselben Leidenschaft nachgehen, hätte keine von uns erwartet. Schon gar nicht, dass wir uns als Geschäftspartnerinnen betrachten, die gemeinsam Yoga-Events organisieren. Darüber hinaus war unsere Beziehung zwar stets eng, aber alles andere als unkompliziert und vor allem hoch emotional aufgeladen.
Das Bewegungs-, Tanz- und Gymnastikstudio meiner Mutter war in meiner Kindheit maximal als Indoor-Spielplatz interessant.
Damals war ich fasziniert von der Spiegelfolie, dem großen tragbaren CD-Spieler, den Tanzschuhen mit den dünnen Ledersohlen und der Menge an verschiedenen Menschen, die sich so schnell vom schüchternen Einzeltänzer zur schwitzenden Menge verwandelten. Angeheizt von Michael Jackson wurde auf engstem Raum alles gegeben. Als Sport-, Rhythmik- und Tanzlehrerin unterrichtete meine Mutter auch in meinem Kindergarten und kurz sogar in meiner Schule. Das war für mein Teenager-Selbst vor allem eins: peinlich.
Später beeindruckte mich das Selbstbewusstsein, das meiner Mutter eine unheimliche Autorität verlieh. Selbst wenn sie noch zwei Minuten vor der Klasse das Konzept komplett umgeschmissen hatte, in der Klasse selbst war es, als sei alles schon lang so geplant. Unnötige Kommentare oder blöde Witze prallten an ihr locker ab und um Schüler*Innen musste sie sich nie Sorgen machen, ihr Kund*innenstamm blieb ihr auch nach dem Wechsel von Tanz zu Yoga treu.
Dass ich selbst mal in ihre Rolle schlüpfen und eigene Yogaklassen unterrichten würde, wäre bis vor einigen Jahren undenkbar gewesen.
Gerade weil meine Familienstruktur sehr traditionell funktionierte, mein Vater zuverlässig für finanzielle Versorgung stand und der Beruf meiner Mutter immer eher als Hobby verstanden wurde. Generell steht der Begriff “Familienunternehmen” in Deutschland in erster Linie für einen Vater-Sohn Betrieb. In familiengeführten Firmen stehen weniger als 10% Frauen* an der Spitze. Kein Wunder also, dass in meiner Familie eher die Frage aufkam, wer in die Fußstapfen meines Vaters treten würde.
Es dauerte bis zu meiner ersten Panikattacke mit Anfang Zwanzig, bis ich Yoga ernsthaft für mich entdeckte. Klar, die Hatha Yoga Kurse meiner Mutter hatte ich einige Male ausprobiert. Es brauchte aber den Wegzug vom Elternhaus, eine andere Autorität, um mir die Wirkung von Atem, Bewegung und Meditation näher zu bringen.
Wenn überhaupt Sport, dann ging ich laufen, mit dem Ziel abzunehmen. Generell ging es darum, mich zu optimieren. Meine berufliche Karriere, erst im Marketing, dann als Journalistin, war unantastbar. Schon früh hatte ich mehr monatlichen Verdienst als meine Mutter mit ihrem Studio. Gleichzeitig war da aber ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Als ich dann mit 24 zum wiederholten Mal in der Notaufnahme stand, aus Angst, ich hätte einen Herzinfarkt, war klar, dass ein Richtungswechsel nötig war.
Yoga wurde damals zur täglichen Routine, zunächst nur um den Kopf kurz mal klar zu bekommen, als Pause von meinem Leben als Workaholic. Eine Trennung, viele feuchtäugige Savasanas und unzählige abendliche Anrufe bei meiner Mutter später stand fest:
Yoga war mehr als ein nettes Workout mit Entspannung geworden.
Die Yogalehrerinnenausbildung folgte wenig später und hätte kaum weiter weg vom heimatlichen “Studio am Seelberg” stattfinden können. Bei der etablierten Yogastudiokette YogaWorks unternahm ich den ersten Schritt zur Selbstständigkeit als Yogi. Motiviert von der Iyengar-geprägten Schule in den USA sollte die traditionelle Praxis nun deutsche Schüler*innen finden.
Meine Mutter war damals gerade dabei, ihre Webseite auszubauen. Während ich sie von der Relevanz eines professionellen Newsletters zu überzeugen versuchte, brachte sie mir bei, mir mehr Zeit zu nehmen, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Das ist heute noch so. Wenn wir etwas zusammen planen, übernehme ich intuitiv die Kommunikation, sie die Strategie. Ich glaube nicht, dass sie das weiß. Ich komme mit einer Idee, bin voller Motivation, dann kann ein Statement von ihr entweder den Ball ins Rollen bringen oder alles komplett umwerfen. Auf professioneller Ebene vertraue ich ihrer Erfahrung, sie meiner Neugier. Auch deshalb war es letztlich nur eine Frage der Zeit, bis wir unser erstes gemeinsames Retreat planten. Es folgten zahlreiche On- und Offline-Workshops, die mir ihre und ihr meine Yogis näher brachten.


Ein Wechsel von der Mutter-Tochter in die Geschäftspartnerinnenrolle war Neuland für mich.
Vor allem deshalb, weil als Vaterfigur ein erfolgreicher Karrierist zum Vergleich stand. Der Groschen fiel bei mir mit 28, als ich weinend bei meiner Mutter in der Küche saß. Ich hatte meine Ausbildung erst ein paar Monate vorher in den Staaten beendet und hielt mich bis dato für unbesiegbar. Der harmlose Kommentar einer Yogaschülerin im Unterricht, sie doch bitte mehr zu korrigieren, hatte mich von meinem hohen Ross direkt auf den Küchenboden der Tatsachen zurückgeworfen. Die gewohnt pragmatische Argumentation meiner Mutter war in diesem Moment die einzige HIlfe, die ich akzeptierte: “Das wird dir noch öfter passieren, du lernst das nicht mehr so ernst zu nehmen.”
Von der Idee eines*r Mentor*in hatte ich zuvor nie etwas wissen wollen, nicht einmal, als ich mich entschloss, meiner Mutter in die Bewegungsarbeit zu folgen. Bis dahin war es vor allem praktisch, dass ich gelegentlich ihr Studio nutzen und ihre Schüler*innen unterrichten durfte, gerade weil diese sich deutlich von mir und meinem Umfeld unterscheiden. Innerhalb weniger Minuten schafft es meine Mutter, nicht in ihrer Elternrolle, sondern als die Person, der ich fachlich uneingeschränkt vertrauen kann, immer wieder, Zweifel zu entschärfen. Sie brachte mir bei, dass die richtigen Schüler*innen einen finden und man, egal wie erfolgreich, ausgebildet oder selbstbewusst man ist, nie alle Menschen erreicht.
Meine Mutter hat mir etwas vermacht, das über die Praxis, Anatomie und Didaktik einer Gruppenleiterin hinausgeht: Intuition.
Das betrifft sowohl den Umgang mit meinen Yogis als auch das Klima, das in einem Raum geschaffen wird. Was Priorität hat und was notfalls auch mal wegfallen kann. Wo weniger Dogma mehr ist und dass nicht jede trendy Zusatzausbildung gleich besseren Unterricht bedeutet. Und noch was:
Meine Mutter erinnert mich regelmäßig an meinen Wert. Gratisstunden, Rabattaktionen und zu günstigen Preisen steht sie äußerst skeptisch gegenüber. In der Zusammenarbeit mit Unterkünften für Retreats und Workshops sind ihr faire Bedingungen und gute Kommunikation exponentiell wichtiger als mir, womit sie uns so manches Debakel erspart hat.
Sie lernt von mir vor allem den Mut, sich mit neuen Methoden auseinanderzusetzen.
Aktuell natürlich auch mit den neuen Medien. Erst kürzlich hat sie nach langem Hin und Her meinen Vorschlag, sich doch einmal im Zoom Yoga zu versuchen, angenommen. Ich unterrichte seit fast einem Jahr drei feste Stunden pro Woche online. Dass meine Mutter nun stetig über ihren Laptop instruiert, grenzt an ein kleines Wunder und hat mich einige Telefonate und gutes Zureden gekostet. Denn obwohl sie ihre Schüler*innen unheimlich vermisst, der Schritt ins Web fällt ihr schwer und bedeutet für sie ein gefühlt wesentlich größeres Opfer als für mich.
Der Generationenunterschied macht sich auch in unseren Kursen bemerkbar.
Von den Yogis in ihrem Studio habe ich zu Anfang oft gehört, wie aktivierend und dynamisch mein Yogastil sei. Meine Schüler empfinden die Klassen meiner Mutter hingegen als besonders meditativ. Nur selten besuchen wir den Kurs der Anderen, sprechen uns aber fast immer vorher ab und inspirieren die Andere zu kleinen oder größeren Änderungen.
Da unsere Wege in die Körperarbeit verschiedener kaum sein könnten, gleichen sich unsere Unterrichtsentwürfe selten. Eine Rolle spielt dabei auch die räumliche Distanz, die bis auf einige Wochen im Jahr zwischen uns steht. Ihre Student*innen in der bayerischen Kleinstadt, die mit ihr älter geworden sind, meine Yogis in Berlin und San Diego, hauptsächlich in ihren Mittzwanziger bis -dreißigern. Wenn wir sie dann zusammenbringen, ist da diese einmalige Energie, das Gefühl eines echten Austauschs, der die Essenz unserer Zusammenarbeit birgt: Atem, Bewegung, Meditation.
Manche Mutter-Tochter-Paare sehen sich als beste Freundinnen. Für meine Mutter war das unvorstellbar: “Unsere Beziehung ist dafür zu komplex”, findet sie. Als Business-Partnerinnen zusammenzuarbeiten, fühlt sich unerwartet leicht an, vielleicht auch, weil es uns erlaubt, uns auf unbeflecktem Terrain zu begegnen, uns füreinander Zeit zu nehmen und dabei einem realen gemeinsamen Ziel zu folgen.
Wir haben in unserer Beziehung einen neuen Raum eröffnet, der unbelastet ist und alte Konflikte nur selten hochkochen lässt.
Dass wir dieses Gefühl je auf Fotos transportieren können, bezweifle ich allerdings. Das gibt es bei uns nur im Hier und Jetzt.
Alles Liebe
deine Lea
Titelbild und Fotos © Lea Dlugosch